Stellungnahme zum Streit um das Weinheber-Denkmal auf dem Wiener Schiller-Platz

Über die geschichtspolitisch gebotene „Ergänzung von Leerstellen“ im öffentlichen Raum

Eine polemische Stellungnahme

Wien, am 6. August 2011

 

Unter dem Titel „Josef Weinheber weiterhin Ehrenmitglied der Akademie“ berichtet die Tageszeitung „Der Standard“ am 5. August 2011 (S. 23, verfasst von Thomas Trenkler) von Vorwürfen gegen die Akademie der bildenden Künste in Wien, diese sei bei der Aufarbeitung ihrer Geschichte in den Jahren unter der NS-Herrschaft bisher säumig gewesen. In diesem Zusammenhang wird neuerlich auf die Kritik „einer Gruppe von Studierenden und jungen Lehrenden“ namens „Plattform Geschichtspolitik“ eingegangen. Sie hat u. a. die Forderung erhoben, dem Schriftsteller Josef Weinheber die 1942 verliehene Ehrenmitgliedschaft an der Akademie abzuerkennen und das 1975 zu seinem Gedächtnis errichtete Denkmal auf dem Schiller-Platz (mit der von Josef Bock gestalteten Büste) zu entfernen. Ersteres besäße, bald siebzig Jahre nach dem Tod des Dichters, zumindest einen merkwürdigen Beigeschmack des Feigen und Lächerlichen, letzteres zweifellos die größere Tragweite. Ich möchte zu dieser konkreten Angelegenheit – nicht zu den allgemeinen Vorhaltungen an die Adresse der Akademie, worüber ich mir kein Urteil anmaße – als Weinheber-Forscher und als Liebhaber Weinheberscher Lyrik Folgendes feststellen:

 

Es ist richtig, dass Weinheber sich 1942 – als er seinen 50. Geburtstag feierte und ihm die Ehrenmitgliedschaft der Akademie der bildenden Künste verliehen wurde – von allerlei Vertretern des offiziellen Wien huldigen ließ, dass er sich in diesen Jahren wiederholt bereit gefunden hatte, Festgedichte im Auftrag politischer Stellen und öffentlicher Institutionen zu verfertigen, Texte, denen er selbst in der Regel zwar keinerlei Bedeutung beimaß, außer, dass sie ihm Geld einbrachten und im Arrangement mit den Mächtigen eine gewisse, ohnedies recht trügerische Sicherheit gewährten. Richtig ist ferner, dass er nicht die Konsequenz aufbrachte, sich den vielen Bemühungen um seine Person dauerhaft zu verweigern, die den berühmten Dichter für offiziöse Zwecke (Lesungen, Festakte, Feiern etc.) reklamieren wollten und ihm verschiedene Ehrungen zuteil werden ließen, auch wenn dies alles erwiesenermaßen längst eine furchtbare seelische Belastung für ihn darstellte und er, ebenso erwiesenermaßen, längst vom unheilvollen Verbrechertum des Regimes überzeugt war* … (Man soll nun nicht glauben, dass er sich ausgerechnet um die Ehrerbietungen von Seiten der Akademie gerissen habe; diese haben ihn aber zweifellos mehr gefreut als das Scharwenzeln der Schirach-Administration.)

Richtig ist aber auch, dass Weinheber in dieser Zeit als Künstler hauptsächlich damit beschäftigt war, seine letzte große Lyriksammlung – die ihm angesichts der Lage immer mehr zu einem Vermächtnis wurde – zu vollenden: Sie wurde schließlich 1944 unter dem Titel „Hier ist das Wort“ gedruckt und stand zur Jahreswende 1944/45 vor dem Erscheinen, konnte aber kriegsbedingt erst 1947, also nach dem Tod des Dichters, tatsächlich herausgebracht werden. Wer nun einen Blick in dieses Buch wirft (um hier nur von dem spätesten Schaffen zu sprechen, Ähnliches gilt freilich für die früheren Werke), wer es unvoreingenommen, ehrlich und mit einem gewissen Sachverstand studiert, der wird wohl der Auffassung dessen zustimmen, der sich als Literaturwissenschaftler und Philologe lange mit ihm beschäftigt hat: Dem Verfasser gebühre durchaus, dass man ihm Denkmäler setze. (Übrigens ist in „Hier ist das Wort“ auch der von Weinheber verfasste Festprolog zum 250. Bestandsjubiläum der Akademie enthalten – vielleicht kein großes Gedicht, jedoch in mehrerer Hinsicht nicht uninteressant und bestimmt auch nichts, wofür sich die Akademie heute zu schämen hätte.**)

Da macht es schon stutzig, ja es bereitet regelrecht Schmerzen, diesen Mann heute nur noch als „NS-Dichter“ bezeichnet und damit abgefertigt zu sehen – mit einem der schlimmsten uns heute zur Verfügung stehenden Disqualifizierungsbegriffe. Aber die berichtete Sache geht ja noch weiter: Die designierte Rektorin, Frau Professor Eva Blimlinger, mit den Vorwürfen des Versäumnisses in geschichtspolitischen Dingen konfrontiert, bekundet die Absicht, die Frage der Ehrenmitgliedschaften insgesamt noch einmal genauer prüfen zu wollen. Sie glaubt aber bereits im Voraus, also gleichsam freibrieflich, erklären zu können, Weinheber wäre die Ehrenmitgliedschaft aus ihrer Sicht „jedenfalls abzuerkennen“. (Bei dieser Gelgenheit: kann man einem Toten eine Mitgliedschaft überhaupt aberkennen? Das ist ja kein Doktortitel und Weinheber kein Guttenberg, der sich die Würde betrügerisch erschlichen hätte. Und was sollte es beweisen: dass die Zeiten sich geändert haben? Und wen soll es treffen: die Familie, die Nachkommen?)

Noch mehr forderte der scheidende Rektor, Herr Professor Stephan Schmidt-Wulffen, der schon vor einem Jahr im Sinne der Proponenten des geschichtspolitischen Reinigungskomitees die Stadt Wien zur Umgestaltung des Schiller-Platzes aufrief. Namentlich verlangte er, dass die „Leerstelle“ der auszuradierenden Denkmalbüste auf dem Schiller-Platz demonstrativ „mit entsprechenden Information über seine (Weinhebers) nationalsozialistische Vergangenheit ergänzt“ werde. Wir deuten uns das sprachliche Rätsel so: Auf den zu leerenden Sockel möge an Stelle der beseitigten Büste ein Instrument der Aufklärung des bislang im Dunkeln tappenden Volkes gesetzt werden – ein moderner Denkmalsturz als vollendete Teufelsaustreibung! Das Denkmal solle durch den öffentlichen Anschlag eines „Sündenregisters“ über die politischen Verfehlungen des einst damit Geehrten ersetzt werden – eine ganz neuartige, in ihrer Hypokrisie und Perfidie kaum noch zu überbietende Geste der Vergangenheitsbewältigungs- als einer Vergangenheitsbemächtigungskultur. Geschichtliche Orientierung im gewachsenen öffentlichen Raum und bürgerliche Gedächtniskultur werden durch ein bevormundendes, tendenziell geschichtsloses Sittenwächtertum ersetzt, betrieben von Pressure-Groups beflissener Ahnungslosigkeit und eilfertigen Wechslern tagespolitischen Kleingelds.

Nun sollte man aber doch nicht davor zurückschrecken, die einmal entdeckte Methode – das staunenswerte „Ergänzen von Leerstellen“ also – gehörig auszudehnen und mit aller Konsequenz anzuwenden. Denn da gäbe es noch viel zu tun: Wir wollen alle Monumente, Bauwerke, überhaupt alle Gegenstände, die an jemanden erinnern, der unseren Vorstellungen von politischer Gesinnungsreinheit und moralischer Unfehlbarkeit nicht standhält, radikal tilgen, und an die Stelle der so entstandenen unzähligen weißen Flecken in Österreich wollen wir das mahnend aufzurichtende Scheltwort der moralischen Verdammung und Ausgrenzung setzen, wir pflastern also unsere historisch gewachsene Kulturlandschaft mit den Urteilen einer Art posthumer Inquisition zu. Am nächsten läge es, gleich mit dem Schiller-Platz selbst und dem großen Schiller-Denkmal fortzufahren, ist es doch eindeutig die Frucht jener unheilschwangeren deutschnationalen Begeisterung aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Und gegenüber, nicht weit über dem Ring, das Goethe-Denkmal ehrt jenen zweiten Dioskuren der Reaktion, den aufgeblasenen Fürstendiener und rücksichtslosen Weiberhelden. Und gar nicht weit entfernt, das Grillparzer-Denkmal im Volksgarten: gilt das nicht jenem Parteigänger der habsburgischen Konterrevolution, der einen berühmten Propagandagesang auf den blutigen Niederwerfer der italienischen Freiheitsbewegung verfasste („In deinem Lager ist Österreich …“). Und dann die an jeder Ecke den Touristen aufgedrängten Mozartkugeln, die den Namen eines in die Welt hinaustragen, der schon als kleines Kind auf dem Schoß der Kaiserin saß und für die Mächtigen aufspielte. Ganz zu schweigen von den eigentlichen Kalibern der politischen Praxis: Metternich-Palais und Metternich-Villa (selbstredend!), das Belvedere, das sich dem Türkenschlächter Prinz Eugen verdankt, die Stephanskirche – sie steht unter der Patronanz eines zwanghaften Heidenmissionars und unverbesserlichen Sektierers (gut, der büßte immerhin mit Steinigung für seine Umtriebe) – erfuhr ihre erste Weihe als Eigenkirche des Landesfürsten, als dieser sich gerade als leidenschaftlicher Kreuzfahrer gegen die Seldschuken gerierte, und so weiter, und so fort. – Welch ein Potential an Leerstellen! Mancher der solcherart Erledigten wird das paradoxe Schicksal verdient haben, ausradiert und zugleich an den Pranger gestellt zu werden, mancher, den wir heute noch brauchen könnten, gerät dabei eben unter die Räder … Was soll’s? Der Zweck heiligt auch dabei die Mittel, und so wichtig kann es schon nicht gewesen sein.

Fällt denn keinem von jenen Eiferern, keinem der an ihrer Seite journalistisch Erregten auf, dass das Streben nach politischer Hygiene im öffentlichen Raum und im kulturellen Gedächtnis mit derartigen Akten schon eine ans Närrische grenzende, jedenfalls Züge des Grotesken und Absurden aufweisende Stufe erreicht hat? – Adolf Hitler sei immer noch Ehrenbürger von Amstetten, Braunau, Waidhofen an der Ybbs und Gott weiß wo noch, geisterte es vor Wochen durch den österreichischen Kosmos und bis nach Brüssel. „Josef Weinheber weiterhin Ehrenmitglied der Akademie“, titelt jetzt der „Standard“: Tinterljuchee*! Wie man mit Leerstellen das Sommerloch füllt …

Um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Ich persönlich bin der Auffassung, dass es eine kultivierte und zivilisatorisch gefestigte Gesellschaft aushalten muss, ja soll, auch solcher Protagonisten ihrer reichen und vielschichtigen Geschichte öffentlich zu gedenken, die hinsichtlich der politischen und sonstigen Moral, der Gesinnung und Weltanschauung keine völlig reine Weste besitzen. Vorausgesetzt, dass ihre sonstigen Verdienste – wofür sie ihrer Profession nach eigentlich stehen – dies rechtfertigen und sich ihre „Verfehlungen“, gemessen an deren historischem Umfeld, im verzeihlichen Maße bewegen. (Ich setze das Wort „Verzeihung“ hier ganz bewusst.)

Ich persönlich bin aber auch für die Entfernung aller Weinheber-Denkmäler und -Gedenktafeln, ja selbst der Straßenschilder mit seinem Namen, überhaupt aller störenden Zeichen der Erinnerung an die einstige Verehrung und Wertschätzung dieses Dichters aus der österreichischen Öffentlichkeit. Im konkreten Fall und unter den gegenwärtigen Bedingungen halte ich das allemal für besser. Weinheber selbst – auch das steht für mich fest – hat es nicht nötig, dass eine Nachwelt Denkmäler von ihm unterhält, die ihm nur noch den einen „Ruhm“ zubilligt, ein berüchtigter „Nazi-Dichter“ gewesen zu sein, die mithin nicht in der Lage oder nicht willens ist, anders als in der plumpesten aller plumpen Vorurteilskategorien über ihn „nachzudenken“, die nicht bereit ist, sich durch eine auch nur irgendwie angemessene Auseinandersetzung mit seinem Schaffen darüber kundig zu machen, wen sie da in Bausch und Bogen verwirft und von der Erdoberfläche der ihr überkommenen und anvertrauten Lebenswelt zu tilgen bemüht ist!

Dr. Christoph Fackelmann m. p.

Vizepräsident der Josef Weinheber-Gesellschaft

Herausgeber der Literaturwissenschaftlichen Jahresgabe der Josef Weinheber-Gesellschaft


* Dessen Ideologie er, trotz zeitweiliger Parteimitgliedschaft, zu keinem Zeitpunkt nahe stand; schon 1936 spricht er z. B. im Hinblick auf seinen unerwarteten Erfolg im „nationalsozialistischen Deutschland“ von „der deutlichen Inkongruenz zwischen meiner im Werk dokumentierten Geistigkeit und den augenblicklich die Gemüter bewegenden Thesen von Blut und Boden“. – Es gibt zahlreiche ähnliche Belege.

** Im Zuge der Jubiläumsfeier am 24. 10. 1942, zu der dieser Prolog, von Ewald Balser gesprochen, dargeboten wurde, erfolgte die Ernennung Weinhebers sowie einiger einschlägiger politischer Würdenträger und etlicher weiterer Künstler zu Ehrenmitgliedern der Akademie.

* Zitat J. W., „Wien wörtlich“, in Anlehnung an Karl Kraus.

Jahresbericht 2011 / Programmausblick 2012

Kirchstetten, im Januar 2011

Die Josef Weinheber-Gesellschaft blickt auf ein ereignisreiches, zum Teil regelrecht turbulentes Jahr 2011 zurück. Zum einen gelang es diesmal, eine beachtliche Reihe von kleineren und größeren Veranstaltungen zu organisieren oder mitzugestalten. Dabei ragten zwei vielbeachtete und gutbesuchte Künstlerlesungen heraus: die den Jahresauftakt bildende Matinée von Verena Noll und Jürgen Pfaffinger, deren außerordentliches Gelingen allgemein den Wunsch nach Wiederholung entstehen ließ, sowie der vertraute frühherbstliche Höhepunkt mit dem Auftritt Ulli Fessls und Peter Urays in der Weinheber-Gemeinde Kirchstetten. Doch hatten die Weinheber-Freunde in aller Welt auch einen schweren, wenngleich nicht gänzlich unerwarteten Verlust zu beklagen. Dr. Friedrich Jenaczek, der zweifellos bedeutendste Weinheber-Forscher und Schöpfer der grundlegenden neuen Gesamtausgabe, verstarb im vergangenen Frühling im hohen Alter von 92 Jahren in seiner Heimatstadt München (siehe den Nachruf auf unserer Homepage). Unser tiefes Mitgefühl gilt der Familie des Dahingegangenen, namentlich den beiden Söhnen Clemens und Markus. Die Josef Weinheber-Gesellschaft übernahm jenen Teil des schriftlichen Nachlasses, der ihren Arbeitsbereich betraf. Wir haben die dankbare Gewißheit: Indem wir uns heute um Josef Weinheber bemühen, stehen wir alle auf Friedrich Jenaczeks Schultern.

Zum anderen hatten wir uns im Sommer des vergangenen Jahres mit dem Wiederaufflammen einer Pressekampagne gegen das Weinheber-Denkmal auf dem Schillerplatz im ersten Wiener Gemeindebezirk auseinanderzusetzen, losgetreten von öffentlichen Stellungnahmen des scheidenden Rektors und der damals erst designierten neuen Rektorin der dort befindlichen Akademie der bildenden Künste. Da Josef Weinheber 1942, also unter dem NS-Regime, zum Ehrenmitglied der Akademie ernannt worden war, geriet auch diese – durch den Tod des Dichters freilich längst hinfällige – Tatsache ins Gerede. Inhalt und Qualität der veröffentlichten Äußerungen, die sich im wesentlichen auf Vorurteile, plumpe Vergröberungen und die völlig unzulässige Einschrumpfung Weinhebers zu einem Parteigänger der Nationalsozialisten, zum „Nazi-Dichter“ beschränkten, veranlaßte die Josef Weinheber-Gesellschaft zu klärenden Maßnahmen. Sie war es gewesen, die 1975 das Denkmal auf dem Schillerplatz mit der von Josef Bock gestalteten Büste errichtet und in die Obhut der Stadt Wien übergeben hatte, fungiert also immer noch als dessen Eigentümerin. Ein Interview des Präsidenten, Christian Weinheber-Janota, für die Tageszeitung Die Presse und ein offener Brief seines Stellvertreters, Dr. Christoph Fackelmann, der nicht nur an das Rektorat der Akademie, sondern auch an den Bürgermeister der Stadt Wien erging (veröffentlicht auch auf unserer Homepage), sollten dazu beitragen, den Blick auf die Fakten zu schärfen und für ein sachgerechtes und differenziertes Bild Weinhebers einzutreten. Der weitere Fortgang der „Affäre“ bleibt abzuwarten. Auch an anderen Stellen waren in letzter Zeit denkmalstürzerische Bemühungen um Josef Weinheber zu verzeichnen. Sie richteten sich etwa gegen das 1967 errichtete Denkmal auf der Feihlerhöhe (mit einem Porträtrelief von Rudolf Pleban), mit welchem die Wienerwaldgemeinde Purkersdorf der dort verbrachten Kindheitsjahre des Dichters gedenkt.

Angesichts all dieser unerfreulichen, zum Teil regelrecht bestürzenden Entwicklungen ist es der Josef Weinheber-Gesellschaft vor allem um eines zu tun: Wir sind der festen Überzeugung, daß die Erinnerung an Josef Weinheber, den großen Künstler und geistigen Menschen, in der Gegenwart nicht von Phrasen des politischen Kampfes und ideologischen Kurzschlüssen überschattet und verdrängt werden dürfe. Wir sind uns wohl bewußt, wie fremd und unbekannt das Werk des Dichters der Gegenwart geworden ist – vielleicht werden mußte –, aber wir meinen, daß diese Zeit es ihm und nicht weniger sich selbst schuldig ist, dem Namen Josef Weinheber mit mehr als bloß leeren Worten und blinden Reflexen zu begegnen. Ein „Skandal“ ist mit Josef Weinheber doch längst nicht mehr zu machen. Alles liegt seit Jahrzehnten offen am Tage, und nur die kurzlebige Medienwelt kann daraus noch Kapital für den Tag schlagen. Was über all dem geblieben sein sollte, wäre aber der Respekt für das vielschichtige, alles andere denn einsinnige Werk. Für eine lebens- und würdevolle Nationalkultur hätte dies eine Selbstverständlichkeit zu bedeuten.

Die Josef Weinheber-Gesellschaft hat es daher von jeher zu ihrem Prinzip erhoben, sich nicht zur Partei des Tages zu machen. Sie will sich folglich weder auf die Seite der einen schlagen, der eifernden Zeitgeist-„Antifaschisten“, für welche die „Entnazifizierung“ von Plätzen, Straßen und Orten zum Strategem im Kampf um Aufmerksamkeit, Macht und Einfluß geworden ist, noch auf die Seite der anderen, der dagegen wetternden Streiter für Heimat- und Volkstreue, die ihre Felle davonschwimmen sehen. – Und die Weinheber-Gesellschaft darf es auch nicht, sowohl aus grundsätzlichen Überlegungen als auch im Interesse ihres Schützlings, der mit den Parolen politischer Grabenkämpfe nichts im Sinn hatte und nicht zum Gesinnungsidol taugt. Auf diesem Prinzip muß sie auch bestehen, wann immer sie Kooperationen eingeht und gemeinsame Projekte verfolgt. Bleiben wir also hellhörig!

Im heurigen Jahr, in dem es des 120. Geburtstages von Josef Weinheber zu gedenken und somit ein kleines Jubiläum zu begehen gilt, möchte die Josef Weinheber-Gesellschaft, jenem Vorsatz getreu, vor allem wieder einen Beitrag zur Objektivierung des modernen Weinheber-Bildes leisten. Das Verständnis für den Dichter, dessen Werk und dessen Epoche zu erweitern und zu vertiefen, ist das Ziel des diesjährigen Hauptvorhabens: Wie angekündigt, soll heuer ein neuer Band unserer „Literaturwissenschaftlichen Jahresgabe“ (2010/11/12) erarbeitet werden. Die Reihe, die vom LIT-Verlag, Wien-Berlin, in sein Programm übernommen wurde, soll diesmal nicht zuletzt auch in das breitere literarische Umfeld Josef Weinhebers eintauchen. Durch Einzel-, Vergleichs- und Beziehungsstudien erhoffen wir im Laufe der Zeit Aufschlüsse und Erkenntnisse über bislang von der Literaturgeschichte wenig beachtete Zeitgenossen zu gewinnen, die mit Weinheber in Verbindung standen, aber auch selbst Bedeutendes schufen. Weinheber in seiner Epoche und in deren mannigfaltigen und vieldeutigen Beziehungsgefügen zu beschreiben, stellt eine wichtige Voraussetzung für die oft geforderte „Historisierung“ seiner Gestalt – jedoch eben jenseits von geschichtspolitisch motivierter Schwarz-Weiß-Malerei – dar.

In dieselbe Richtung will schon das Büchlein weisen, das wir unseren Mitgliedern mit dem vorliegenden Bericht als Jahresgabe überreichen dürfen. Es wurde von der Josef Weinheber-Gesellschaft auf Einladung der Österreichischen Landsmannschaft gestaltet und erschien als Band 205 in der traditionsreichen Reihe der „Eckartschriften“. Die Verfasser, Karl Josef Trauner und Christoph Fackelmann, porträtieren darin Dichter und Bücher aus der deutschen Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts, die heute weitgehend vergessen sind oder deren einst rühmendes Angedenken durch die modernen Zweifel inzwischen erheblich gebrochen erscheint. Der reichbebilderte Band, der zugleich eine kleine Festgabe zum bevorstehenden 80. Geburtstag unseres Ehrenmitglieds, des früheren Präsidenten HR Dr. Karl J. Trauner, bildet, geht auch der Frage nach dem Woher und Warum dieser Entwicklungen nach. Im abschließenden, ausführlichsten Kapitel bietet er eine Auseinandersetzung mit Josef Weinhebers Durchbruchswerk aus dem Jahre 1934, „Adel und Untergang“. Das Bändchen wird übrigens – aus Anlaß des heurigen Weinheber-Jubiläums – am Dienstag, den 20. März 2012, im Rahmen eines Vortrags von Dr. Christoph Fackelmann in Salzburg präsentiert, zu dem wir herzlich einladen: „,Verlassen war ich, jetzt bin ich verkannt. Deutsche Dichter als Opfer des Traditionsbruches im 20. Jahrhundert“ (Neuer Klub Salzburg, Restaurant „Urbankeller“, Schallmooser Hauptstraße 50, 5020 Salzburg, Beginn: 19 Uhr 30; freier Eintritt).

Der Jahresgabe liegt diesmal ein Probeheft der „Wiener Sprachblätter“ bei. Die Dezember-Ausgabe dieser „Vierteljahresschrift für gutes Deutsch und abendländische Sprachkultur“ enthält u. a. den ersten Teil einer Würdigung der Sammlung „Späte Krone“ (S. 13-17). Im vergangenen Herbst waren 75 Jahre vergangen, seit dieses Debütwerk Josef Weinhebers für den reichsdeutschen Langen-Müller-Verlag das Licht der Welt erblickt hatte. Fortsetzung und Abschluß des Aufsatzes werden im nächsten Heft abgedruckt, das im März 2012 erscheinen wird. Der Herausgeber der „Wiener Sprachblätter“, der „Verein Muttersprache“, welcher 1949 als Nachfolger des Wiener Zweiges des „Deutschen Sprachvereins“ gegründet wurde, möchte mit dieser Kostprobe zum Kennenlernen oder Wiederentdecken der nunmehr bereits im 62. Jahrgang stehenden Zeitschrift einladen. Sie erscheint seit 2010 in neuer Gestalt, mit einem überarbeiteten, modernen Konzept und widmet sich in populärwissenschaftlicher Art allen Bereichen des sprachlichen Lebens, einschließlich der Dichtkunst aus Vergangenheit und Gegenwart. Die Weinheber-Pflege hat innerhalb der „Sprachblätter“ eine lange und glückliche Tradition. Nachfolgende Ausgaben können direkt bei der Geschäftsstelle des Vereins bestellt werden (Fuhrmannsgasse 18-1A, 1080 Wien; Tel.: 0043-1-405 09 07).

Abschließend sei ein Hinweis auf eine Veranstaltung gestattet, die dem emeritierten Wiener Ordinarius für österreichische Literaturgeschichte Univ.-Prof. Dr. Herbert Zeman gewidmet sein wird. Den Weinheber-Freunden ist der Name ein Begriff. Herbert Zeman hat nicht nur selbst mehrmals über Josef Weinheber vorgetragen und publiziert (vgl. u. a. die Jahresgabe 1993/94, S. 66-79), er hat auch in durchaus maßgeblicher Weise organisatorisch zum Fortschritt der neuen kommentierten Gesamtausgabe beigetragen. Zu seinem 70. Geburtstag ist kürzlich eine gewichtige thematische Festschrift erschienen („Literatur – Geschichte – Österreich. Probleme, Perspektiven und Bausteine einer österreichischen Literaturgeschichte“, hrg. v. Christoph Fackelmann u. Wynfrid Kriegleder, Wien-Berlin: LIT Verlag 2011). Sie wird dem Jubilar am Donnerstag, den 26. Jänner 2012, in einer Feier an der Universität Wien überreicht (Kleiner Festsaal der Universität Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 1, 1010 Wien, Beginn: 18 Uhr; freier Eintritt). Die Präsentation wird begleitet von einer Diskussion zum Thema „Österreichische Literaturgeschichte“ und einer künstlerischen Lesung aus privaten und beruflichen Dokumenten zur Frühgeschichte der Österreichischen Literaturforschung (vorgetragen von Adelheid Picha und Joseph Lorenz). Wir laden Sie auch dazu herzlich ein!