„Vielgeliebte Hilde …“

Veranstaltungshinweis:

„Vielgeliebte Hilde …“

Ulli Fessl und Gottfried Riedl lesen aus einem skurrilen Briefwechsel des jungen Josef Weinheber

Montag, 23. Februar 2015, 20 Uhr 15

Komödie am Kai, Franz-Josephs-Kai 29, 1010 Wien

Telefon: +43 1 5332434-0

Freier Eintritt; Spenden zugunsten der Aktion „Künstler helfen Künstlern“ erbeten.

Im Jahr 1916 führte Josef Weinheber einen intensiven Briefwechsel mit der damals noch nicht ganz achtzehnjährigen Hilde Zimmermann aus Wagstadt bei Troppau (Österreichisch-Schlesien). Die Bekanntschaft entsprang einer Kontaktanzeige, auf die Weinheber – wie in anderen Fällen auch – aus Lust an geistigen Herausforderungen und erotischen Abenteuern reagiert hatte. Es kam auch zu einer persönlichen Begegnung und einem flüchtigen Liebesverhältnis, aber Hilde Zimmermann konnte sich schließlich doch nicht überwinden, dem Werben des vierundzwanzigjährigen Schriftstellers, der unter dem Pseudonym Sven Teaborg an Sie herangetreten war, nachzugeben.

Die Korrespondenz ist aus sozial- und kulturgeschichtlichen Gründen sehr interessant; sie gibt aber auch Aufschluss über die Geistigkeit, die Bildungserlebnisse und das künstlerische Selbstverständnis Weinhebers, der darin manchen Blick in die Werkstatt seiner tastenden und probenden Anfänge, bestimmt von einem grüblerisch-schwärmerischen „Gottsuchertum“, gewährt. Darüber hinaus zeigen die Briefe ein heute oftmals skurril und unfreiwillig komisch wirkendes Rollenspiel vor dem ernsten Hintergrund gesellschaftlicher Zwänge und individueller Sehnsüchte in zerrütteter Zeit.

Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Josef Weinheber und Hilde Zimmermann: Jahresgabe der Josef Weinheber-Gesellschaft, Kirchstetten, 1989/90, S. 5-74. 

Jahresbericht 2014 / Programmausblick 2015

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Josef Weinheber-Gesellschaft!

Im vergangen Jahr konnten wir Ihnen einen neuen, umfangreichen Band unserer Schriftenreihe, der Literaturwissenschaftlichen Jahresgabe, vorlegen, und an der Zusammenstellung des nächsten Bandes wird bereits gearbeitet. Auch neue Quellenfunde gilt es dabei wieder zu dokumentieren. War es zuletzt vor allem die Erstveröffentlichung des Briefwechsels zwischen Josef Weinheber und Erwin Guido Kolbenheyer, die wir verwirklichen konnten, so steht nun u. a. eine bemerkenswerte Entdeckung zur Bearbeitung an, die Weinhebers Austausch mit dem Schriftsteller Otto Forst de Battaglia (1889-1965) erhellt. In den Jahren 1935 und 1936 machte dieser heute leider weitgehend vergessene Universalgelehrte mit österreichischen, polnischen und jüdischen Wurzeln und katholisch-konservativem Weltbild in mehreren Aufsätzen für ausländische Zeitschriften und Zeitungen auf Adel und Untergang und Wien wörtlich aufmerksam, so etwa in La Cité Chrétienne (Brüssel), La Vie Intellectuelle (Paris) Pion (Warschau), Books abroad (University of Oklahoma, USA). Forst-Battaglia rühmte die Kunst der Weinheberschen Lyrik in hohen Tönen, übte aber auch Kritik an dem vermeintlichen Naheverhältnis des Dichters zum nationalsozialistischen Deutschland. Weinheber selbst bekundete in einem Brief, den uns der Enkel und Nachlassverwalter, der österreichische Diplomat Direktor Dr. Jakub Forst-Battaglia, zur Verfügung stellte, eindrucksvoll seine unabhängige Geistigkeit, wenn er sie auch damals noch mit trügerischen Zukunftshoffnungen verband. Er schreibt u. a.:

„[…] Ihre knappe, aber so sachkundige Analyse meines Buches hat mir, mit den einigen anderen Stimmen aus der Welt, die sich jetzt bezeugend und begeistert zu mir finden, die Gewähr gegeben, daß mein Werk nicht untergehen wird. Es hat mich ergriffen, daß Sie sich gewissermaßen entschuldigen, weil Sie in Deutschland nichts für mich tun können, wo Sie in Ihrem Briefe doch so viele Möglichkeiten erörtern, meine Sache zu fördern. Dabei ist es doch heute so wichtig, daß die nichtdeutsche Welt von jener deutschen untergründigen Dichtung erfahre, die sich nicht wie die zeitgemäße in Führerromanen und Bauerngedichten erschöpft. […] Sie werden wohl begreifen, daß ein Mensch wie ich, der sich seit zweiundzwanzig Jahren mit dem Problem der sprachlichen Gestaltung herumschlägt, im deutschen Gegenwartsroman […] nicht gerade die dichterische Erfüllung sieht. […] An meiner literarischen Wiege ist, soweit es das Sprachgewissen betrifft, Karl Kraus Pate gestanden. Man wird nur ein wenig warten müssen, und es wird sich auch in Deutschland der reine Wert gegenüber dem Gesinnungspofel durchsetzen. Das dauert ja immer seine Zeit. Was wäre denn das für ein Wert, wenn er sofort und für jeden Commis auf der Hand läge. Ich warte schon so lange auf meine Zeit, und sie kommt nicht. Deshalb habe ich keinen Augenblick gezögert, das zu tun, was ich für notwendig halte. […]“ (7. November 1934)

Die Lage hat sich bis heute nicht so substantiell gebessert, wie es die zunehmende zeitliche Distanz erwarten ließe. Ganz im Gegenteil: Nach einer Phase wachsenden Verständnisses in den Nachkriegsjahrzehnten besteht heute noch weniger als zu Lebzeiten des Dichters die Bereitschaft und das Vermögen, angemessene geistige und künstlerische Maßstäbe an die Gestalt Josef Weinhebers anzulegen. Medien und Kulturpolitik ergötzen sich unterdessen auch noch beim sechzigsten oder siebzigsten Male daran, im einstmals berühmten Dichter den „Nazi“ zu entlarven, und selbst die Wissenschaft zieht es inzwischen vor, dieses Stereotyp zu reproduzieren, wie es zuletzt der mittlerweile auch in Buchform erschienene Bericht der sog. „Rathkolb-Kommission“ über politisch fragwürdige Wiener Straßenbenennungen zeigte. Was man hier immer von neuem als geschichtspolitische Aufklärungstat verkaufen möchte – ohne die dabei seit langem vorliegenden und bekannten Details wirklich zu überblicken und richtig einschätzen zu können –, das verschüttet den Zugang zum Werk, zum Eigentlichen des Dichters. Dabei handelt es sich hier um ein Werk, in dem jemand einen unabhängigen, freilich zutiefst tragischen Humanismus und eine fundamentale Distanz zum Zeitgeist der Epoche totalitärer Gewalt unter Beweis stellte wie kaum ein zweiter unter den in der „Ostmark“ verbliebenen und nach 1938 fortgesetzt publizierenden Schriftstellern (Zwischen Göttern und Dämonen, 1938; Kammermusik, 1939; Dokumente des Herzens, 1944; Hier ist das Wort, 1944/47).

Es ist inzwischen beinahe zur Gewohnheit in unserer oberflächlichen Mediengesellschaft geworden, Geschichte nur noch entlang von „Jubiläen“ zu betrachten. In immer engeren Abständen begeht man mit viel Aufregung und großem erzieherischen Aplomb diese „Gedenkjahre“; alle zehn, ja alle fünf Jahre bereits „kehren“ vor allem die Schreckenszäsuren der jüngeren Geschichte „wieder“. Im letzten Jahr ging es um den Beginn des Ersten Weltkriegs, heuer steht wieder einmal die Erinnerung an das Kriegsende 1945 auf dem Programm. Während Weinheber wie nur ganz wenige der österreichischen Schriftsteller seiner Generation von jenem ersten verhängnisvollen Ereignis des Zwanzigsten Jahrhunderts beinahe unberührt geblieben zu sein scheint, so fällt das zweite nicht nur durch zeitliche Koinzidenz, sondern auch durch innere Kausalverbindungen mit seinem eigenen Tod zusammen. Im Frühjahr 1945 nahm der durch die Zerstörungswut des Krieges und das Rasen der Unmenschlichkeit heillos verstörte Mann eine tödliche Dosis Morphium zu sich.

Die Josef Weinheber-Gesellschaft möchte dieses 70. Jahr nach dem Heimgang des Dichters nicht zu einem großen Gedächtnis-„Event“ stilisieren. Aber in der Nachfolge der auf viel Zustimmung gestoßenen Matinée mit Verena Noll vom 17. Februar 2013 („In jeder Welt aus Schein und Gram und Zahl / hab ich mich immer zu mir selbst bekannt.“ Große österreichische Lyrik von Josef Weinheber bis Ingeborg Bachmann) möchte sie es zum Anlass nehmen, Weinheber in einer weiteren Wiener Lesung künstlerisch einem breiteren Publikum näher zu bringen. Einladungen zu dieser Frühlingsveranstaltung, bei der diesmal die beliebte Burgschauspielerin Helma Gautier Weinheber interpretieren wird, werden gesondert an Sie ergehen.

In Anbetracht des Anlasses soll die Lesung diesmal den reichen Schätzen der späten Lyrik zugewandt sein. Sie soll außerdem Gedichte in Erinnerung rufen, die für oder über Josef Weinheber geschrieben wurden, wie etwa die schöne Elegie auf den Tod des Dichters von Josef Weber, die in der letzten Jahresgabe veröffentlicht werden konnte, oder Widmungsgedichte von Friedrich Sacher und Wilhelm Franke, und nicht zuletzt jenes großartige Gedicht, das Weinhebers posthumer Nachbar in Kirchstetten, der bedeutende englische Autor Wystan Hugh Auden, ihm nachsandte. Auch Auden, dessen einstige Wohnstatt in Kirchstetten jüngst mit viel Aufwand neu in Szene gesetzt wurde, erwähnt die politischen Verwerfungen, die ihn, der auf kommunistischer Seite im spanischen Bürgerkrieg gekämpft und Erika Mann in der Emigration durch eine Scheinehe zur englischen Staatsbürgerschaft verholfen hatte, vom Verstorbenen trennten; aber er tut es mit hoher Sensibilität: „[…] Yes, yes, it has to be said: / men of great damage / and malengine took you up. / Did they for long, though, / take you in, who to Goebbels’ / offer of culture / countered – in Ruah lossen? / But Rag, Tag, Bobtail / prefer a stink, and the young / condemn you unread. […]“ („Ja, ja, es muß gesagt werden: / Männer großen Unheils / und Übelwollens nahmen sich deiner an. / Doch für wie lange / wickelten sie dich ein, dich, / der auf Goebbels’ Kulturangebot, / entgegnete: in Ruah lossen? / Aber Krethi und Plethi / ziehen Skandale vor, und die Jungen / verdammen dich ungelesen.“) Und wie behutsam und vornehm gibt er sich, abermals Weinheber zitierend, Rechenschaft über die künstlerische Bedeutung dessen, dem er sich über die Gräben hinweg seelenverwandt fühlt: „[…] I would respect you also, / Neighbour and Colleague, / for even my English ear / gets in your German / the workmanship an the note / of one who was graced / to hear the viols playing / on the impaled green, / committed thereafter den / Abgrund zu nennen.“ („Doch möchte auch dich ich ehren, / Kollege und Nachbar, / denn selbst mein englisches Ohr / entdeckt in deinem Deutsch / die Meisterschaft und den Tonfall / eines, dem es vergönnt war, / das Spiel der Bratschen / auf umzäuntem Rasen zu hören, / und dem es später oblag, den / Abgrund zu nennen.“ [Übersetzung v. Herbert Heckmann]) In einem wenige Jahre vor seinem Tod geführten Gespräch unterstrich Auden, der mit der deutschen Lyrik gut vertraut war und sich ihr auch als Übersetzer angenähert hatte, seine Haltung: „[…] ich liebe Weinheber sehr, den die Deutschen vergessen oder, wie soll ich sagen, verdrängt haben“ (Süddeutsche Zeitung, 24./25. 9. 1983).

All das Aufsehen, das der aktionistische Wirbel um das Denkmal am Wiener Schillerplatz und den Ottakringer Weinheber-Platz ein ums andere Mal hervorzurufen versteht, soll indes nicht vergessen lassen, dass auch in unseren Tagen sehr verdienstvolle Taten der Weinheber-Pflege gesetzt werden. So ließ vom 28. Mai bis zum 14. Juni des vergangenen Jahres der Döblinger Heimatpfleger und Lokalhistoriker Wolfgang E. Schulz (www.döbling.com) auf eigene Initiative die in Josefsdorf auf dem Kahlenberg angebrachte Gedenktafel für Josef Weinheber einer Reinigung und Wiederherstellung der verblassten Gravur unterziehen. Der 1964 von der Weinheber-Gesellschaft auf der damals neuen Terrasse des Kahlenberges errichtete Dichterstein trägt als Inschrift berühmte Verse aus dem Lob der Heimat: „Doch den Kranz der Heimat gebt mir Wien, / lobt mir diese Stadt! […]“. Durch Verwahrlosung und Vandalismusakte war er in der letzten Zeit arg in Mitleidenschaft gezogen worden; nun erstrahlt er dank der Unternehmung von Wolfgang Schulz und der Arbeit des Restaurators Philipp Hauser in neuem Glanz (Döblinger Extrablatt Nr. 7, Herbst 2014).

Zuletzt soll noch auf eine bemerkenswerte archivarische Leistung hingewiesen werden: Dr. Volker Jehle, der Nachfahre der Württembergischen Musikverleger Johannes Jehle und Martin Friedrich Jehle, hat die musikhistorische Sammlung seines Hauses im Stauffenberg-Schloss Albstadt-Lautlingen bestandsmäßig aufgearbeitet und digital erfasst. Dieses Verzeichnis, das bereits in 2. Auflage vorliegt, kann unter der Netzadresse http://www.sammlungjehle.com eingesehen werden. Für die Weinheber-Freunde ist es deshalb interessant, weil darin auch eine bei Jehle erschienene, reichlich seltene Vertonung aus Josef Weinhebers Kalenderbuch O Mensch gib acht dokumentiert ist: der Liederzyklus Das Jahr, den der mit dem Wiener Dichter befreundete junge Komponist Georg Krietsch 1939 in Druck gab. Auch die zu dieser Publikation gehörige Titelgraphik Hans Geißlers befindet sich hier.

Übrigens: Über aktuelle Pläne und Veranstaltungen zum Thema Josef Weinheber informieren Sie nicht nur unsere brieflichen Aussendungen, sondern auch das „Weinheber-Forum“ im Internet, das Sie unter der Adresse https://weinheberforum.wordpress.com erreichen. Gerne können Sie uns für diese Plattform auch auf Ihnen bekannte weitere Vorträge, Lesungen und Aufführungen aufmerksam machen (E-Mail-Kontakt: information@weinheber.at)!

Am Ende dieses Rundbriefs dürfen wir Sie wieder um die Überweisung Ihres Mitgliedsbeitrags ersuchen. Er bleibt auch für 2015 mit 21,80 € unverändert. Jede Überzahlung oder Spende stellt für unsere gemeinsame Arbeit eine wichtige Hilfe dar und wird dankbar entgegengenommen. Ein Erlagschein liegt bei. Bitte achten Sie darauf, Ihren Namen leserlich einzutragen, damit wir den Beitrag richtig zuordnen können.

Im Namen der Josef Weinheber-Gesellschaft wünsche ich Ihnen ein gutes und glückliches Jahr 2015 und verbleibe

mit herzlichen Grüßen

Christian Weinheber-Janota e. h. (Präsident)