Jahresbericht 2016/ Programmausblick 2017

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Josef Weinheber-Gesellschaft!

Das Werk Josef Weinhebers hatte in den letzten Jahren keinen leichten Stand bei der Literaturwissenschaft. Rar waren solche Erwähnungen, die einigermaßen ernst und mit Substanz an die Erscheinung des österreichischen Dichters herangingen, zahlreicher die Fälle, in denen bloß die bereits eingespielten Klassifizierungen wiederholt wurden, verbunden mit Vorurteilen und Verkürzungen, die ein nicht geringes Maß an Ignoranz gegenüber den wirklichen Sachverhalten, aber auch gegenüber den Leistungen der Weinheber-Philologie in engeren Sinn verrieten. Bei Nennungen und kürzeren Einlassungen im Rahmen von Literaturgeschichten – zuletzt etwa zu beobachten bei einer Anzahl von neuen einbändigen Darstellungen der Literaturgeschichte Österreichs – mag das hinzunehmen sein, weil Differenzierung und genaueres Hinsehen sich von Haus aus nur schwer mit dem Anspruch solcher Überblicksbeschreibungen verbinden lassen. Dennoch ist es bedauerlich, dass diese das Niveau der massenmedialen Stellungnahmen im „Fall Weinheber“ nicht wesentlich überschreiten.

Umso mehr erfreut es, dass zuletzt auch gründlichere und um größere Sachlichkeit bemühte Versuche zu verzeichnen sind, sich historiographisch mit Josef Weinheber auseinanderzusetzen. Wir verweisen auf ein kleines Forschungsvorhaben des englischen Musikhistorikers Matthew Werley (Cambridge, derzeit Richard-Strauss-Institut Garmisch-Partenkirchen), das den Beziehungen zwischen Josef Weinheber und dem Komponisten Richard Strauss (1864–1949) in den vierziger Jahren nachspürt und hier eine Lücke in der Lebens- und Schaffensgeschichte beider Künstler schließen kann. Der Aufsatz wird unter dem Titel „Ach, wie hatten jene Zeiten Kraft“. Erinnerungskultur, Landschaft und Richard Straussʼ „Blick vom oberen Belvedere“ in dem Sammelband Richard Strauss – der Komponist und sein Werk. Überlieferung, Interpretation, Rezeption, herausgegeben von Sebastian Bolz und Hartmut Schick (München: Allierta Verlag), erscheinen.

Strauss hat nicht nur zwei Gedichte Weinhebers vertont („Blick vom oberen Belvedere“ und „Sankt Michael“, beide aus Anlass des 50. Geburtstags des Dichters, 1942). Für eines der letzten großen Kompositionsvorhaben von Strauss, die symphonische Dichtung „Die Donau“, hätte Weinhebers „Terzinen auf Wien“ (1940) gar eine Schlüsselrolle – als Chorvertonung im Finale – zukommen sollen. Leider blieb dieses Werk unvollendet. Am 27. 4. 1943 übersandte Weinheber Strauss eine weitere Dichtung, die „Symphonischen Beichte“ (im Mai 1942 entstanden, später aufgenommen in „Hier ist das Wort“, 1944/47), und bemerkte dazu: „Ich habe mir gedacht, dieses Gedicht könnte Ihnen vielleicht die Grundlage zu einem musikalischen Werke bieten, weil es sich mit der menschlichen Seele als Musik befaßt“ (Der Strom der Töne trug mich fort. Die Welt um Richard Strauss in Briefen. Hrg.: Franz Grasberger. Tutzing 1967, S. 416). Darauf antwortet das einzige Schreiben Straussʼ an Weinheber, das sich im Nachlass erhalten hat:

„Sehr verehrter lieber Herr Weinheber! Herzlichen Dank für Ihre schönen Dichtungen! Aber mit dem Componieren steht es schlecht. Meine arme Frau war recht krank, ist aber auf dem Wege der Genesung! Mit der ,Donauʻ u. ihren prächtigen Terzinen auf Wien willʼs gar nicht vorwärtsgehen! […]“ (8. 5. 1943).

Weinheber hat dem Tondichter zu dessen 80. Geburtstag im Jahr 1944 das Gedicht „Für Richard Strauss“ gewidmet (ebenfalls aufgenommen in „Hier ist das Wort“).

Ein zweiter, jüngst publizierter Aufsatz widmet sich „Im Grase“, einem der berühmtesten Gedichte Josef Weinhebers (enthalten in „Späte Krone“, 1936). Schon eine stattliche Reihe von Historikern und Literaturkundigen hat sich diesem Text interpretatorisch anzunähern versucht. Rainer Hillenbrand, Germanist an der Universität Pécs (Fünfkirchen, Ungarn), hat mit seiner Studie Weinhebers „Im Grase“ als poetische Erinnerung an das Vergessen eine sehr lesenswerte Deutung hinzugefügt. Positiv fällt schon der gelassene Duktus auf, der die gewisse Hysterie, welche die ideologiekritische Mode in den germanistischen Umgang mit Zeugnissen aus dieser Epoche eingeführt hat, nüchtern und entschieden vermeidet und den Text als Kunstwerk ernst nimmt. Vorurteile und Stereotype, die sich im Umgang der Germanistik mit Weinhebers Werk eingebürgert haben, werden unbefangen als das, was sie sind, benannt. Auch die Beobachtungen, die Hillenbrand zur Traditionsverortung des Weinheber-Textes anstellt, leuchten in vielen Fällen ein. Der Gedanke, das Gedicht von Sujet und Topik her vor dem Hintergrund von „Erinnerungswissen“ und „Gedächtnis“ zu erschließen, erscheint wirklich fruchtbar und berechtigt: sowohl was das Textgefüge, den Vorstellungsaufbau betrifft – wo Weinheber „formale Kunst mit sinnlicher Anschaulichkeit verbindet“ – als auch im Hinblick auf dessen „variierende und weiterführende“ Verzahnung mit der motivgeschichtlichen Überlieferung. Mancher bislang unbeachtete Hinweis, insbesondere auf mögliche Quellen aus dem Volks-, Kirchen- und Kunstliedschatz, ist bedenkenswert; frappierend z. B. der Bezug auf das Gedicht „Feldeinsamkeit“ von Hermann Allmers, bekannt durch die Vertonung von Johannes Brahms:

„Ich ruhe still im hohen, grünen Gras
Und sende lange meinen Blick nach oben,
Von Grillen rings umschwirrt ohnʼ Unterlaß,
Von Himmelsbläue wundersam umwoben.

Die schönen, weißen Wolken ziehn dahin
Durchʼs tiefe Blau, wie schöne stille Träume; –
Mir ist, als ob ich längst gestorben bin,
Und ziehe selig mit durch ewʼge Räume.“

Es geht, der Weinheberschen Kunstauffassung entsprechend, nicht darum, außergewöhnliche und neue Metaphern zu finden. In „Im Grase“ sind sie vielmehr „in hohem Maße traditionell. Originell aber ist ihre Kombination“, also die Art und Weise, wie der Dichter gestalterisch mit den vorgefundenen und übernommenen Sprachbildern verfährt, um eine ihm gemäße Symbolsituation zu entfalten. Der ideell-weltanschaulichen Deutung der im Gedicht gestalteten „Erlösung vom Leid des Bewußtseins durch Schlaf und Tod“, wie sie Hillenbrand unterbreitet, ist nachdrücklich zuzustimmen.

Die Studie ist in dem vom Verfasser selbst herausgegebenen Tagungsband Erinnerungskultur. Poetische, kulturelle und politische Erinnerungsphänomene in der deutschen Literatur („Pécser Studien zur Germanistik“, Bd. 7; Wien: Praesens Verlag 2015) enthalten. Wir hoffen, sie in einem der nächsten Bände unserer „Literaturwissenschaftlichen Jahresgabe“ für die Weinheber-Freunde nachdrucken zu können.

Daran lassen sich gleich ein paar Bemerkungen zu der aktuellen Publikationstätigkeit der Josef Weinheber-Gesellschaft anschließen: Im letzten Jahresbericht wurde bereits ein neuer Band unserer „Literaturwissenschaftlichen Jahresgabe“ angekündigt, in dem der Schwerpunkt auf den mit Weinheber verbundenen Dichter Hans Leifhelm gelegt werden soll. Im vergangenen Herbst, am 9. Oktober 2016, widmete sich auch unsere Kirchstettener Weinheber-Lesung dieser Dichterbeziehung. Frau Burgschauspielerin Ulli Fessl brachte lyrische und biographische Zeugnisse daraus zu Gehör, schloss aber auch andere Freundschaften und geistige Verwandtschaften mit ein: etwa Weinhebers Förderung des jungen Waldviertler Lyrikers Wilhelm Franke und die Spuren seiner Begeisterung für das Werk Johann Nestroys, die sich in „Wien wörtlich“ feststellen lassen. Hier bewies Frau Fessl ein weiteres Mal ihr großes komödiantisches Können und wusste sogar, gemeinsam mit Leopold Grossmann am Klavier, als Coupletinterpretin zu begeistern.

Nun haben wir uns entschlossen, den geplanten Leifhelm-Band zeitlich noch etwas zurückzuschieben. Das geschieht im Hinblick auf das heuer anstehende Jubiläum, die Feier des 125. Geburtstags Josef Weinhebers. Zu diesem Anlass wollen wir nämlich ein anderes Projekt vorziehen: eine neue Auswahl aus dem lyrischen Gesamtwerk Josef Weinhebers. Sie soll es ermöglichen, dass endlich wieder eine leicht zugängliche, überschaubare, aber trotzdem repräsentative Auslese der Lyrik des Dichters im Buchhandel verfügbar ist – als gediegener belletristischer Einstieg und Orientierungsbasis für jedermann. Zurzeit können ja außer den beiden humoristischen Werken, „Wien wörtlich“ (bei Otto Müller in Salzburg) und „O Mensch, gib acht“ (bei V.F. Sammler in Graz), nur mehr einzelne Bände der wissenschaftlichen Gesamtausgabe bezogen werden. Das geplante Buch, zusammengestellt und mit einem Nachwort sowie einer Zeittafel versehen von Christoph Fackelmann, soll diesem wenig befriedigenden Zustand Abhilfe schaffen.

Der Band mit dem Titel „Ich werde wieder sein, wenn Menschen sind“ wird im Hauptteil, in zehn Gedichtkreise gegliedert, einen Eindruck vom gesamten künstlerischen Spektrum vermitteln, wie es sich in den einst so berühmten Konzeptsammlungen der zwanziger und dreißiger Jahre darbietet. Es werden also Proben enthalten sein von den formexperimentalen Gedichten, der lautsymbolischen Lyrik, den „architektonisch“ angelegten zyklischen Versuchen, den radikalen lyrischen Selbstbildnissen, den Gedichten, die musikalische Formensprache in Sprachkunst umzusetzen versuchen („Kammermusik“), dazu auch Beispiele der beißend zeitkritischen Versglossen sowie eine Auslese aus der satirisch-humoristischen Lyrik in Wiener Mundart und aus dem „erbaulichen Kalenderbuch für Stadt- und Landleut“.

Der zweite, kleinere Teil wird zum einen die so genannte „Gottsucher“-Lyrik, d. h. die zu Lebzeiten größtenteils unveröffentlichte, faszinierend „rebellische“ Erstlingslyrik (Zyklen wie „Der dunkle Weg“, „Einer, der mittrank“ etc.), in Auszügen vorstellen. Zum anderen wird auch der Problembereich der in politischem Auftrag geschriebenen Festgedichte aus der Spätzeit anhand dreier prominenter Beispiele dokumentiert: des Hymnus „Den Gefallenen“ für die Schuschnigg-Regierung, 1935, des „Hymnus auf die Heimkehr“ aus dem Frühjahr 1938 und des „Hymnus auf den Frontarbeiter“ für den „Reichsminister für Bewaffnung und Munition“, 1940. Damit kann die Auswahl auch den immer wieder geführten geschichtspolitischen Debatten um die Rolle des Schriftstellers in den NS-Jahren eine entsprechend umsichtige Textbasis zur Hand geben, ebenso dem schulischen und akademischen Diskurs, der darauf Bezug nehmen möchte.

Das Buch wird in einem jungen, anspruchsvollen österreichischen Literaturverlag erscheinen und den Mitgliedern der Josef Weinheber-Gesellschaft als Jahresgabe überreicht werden. Da es aber erst für das Herbstprogramm des Buchjahres vorgesehen ist, müssen wir Sie noch um etwas Geduld bitten. Voraussichtlich wird sich an die Präsentation des Buches im Herbst dann auch eine würdige öffentliche Veranstaltung zur Feier des Gedenkjahrs anschließen. Darüber werden wir Sie noch gesondert informieren. Die Weinheber-Gesellschaft ist bemüht, diese und künftige Arbeitsvorhaben zur Erschließung von Werk, Nachlass und historischem Umfeld des Dichters wie bisher nach Kräften finanziell zu unterstützen. Unsere Mittel sind naturgemäß begrenzt, und das Gelingen unsere ambitionierten Pläne ist daher mehr denn je auf die großzügige Unterstützung und die bereitwillige Mitarbeit der Freunde des Dichters angewiesen! Wir stehen Ihnen als Ansprechpartner gerne zur Verfügung. Bitte wenden Sie sich an den Unterzeichneten (Kontaktadressen s. Briefkopf) oder an Herrn Dr. Christoph Fackelmann (E-Mail: christoph.fackelmann@aon.at; Telefon: +43 (0)676 5875347).

Über aktuelle Pläne und Veranstaltungen zum Thema Josef Weinheber informieren Sie übrigens nicht nur unsere brieflichen Aussendungen, sondern auch das „Weinheber-Forum“ im Internet, das Sie unter der Adresse http://weinheberforum.com erreichen. Gerne können Sie uns für diese Plattform auch auf Ihnen bekannte weitere Vorträge, Lesungen und Aufführungen aufmerksam machen (E-Mail-Kontakt: information@weinheber.at)!

Am Ende dieses Rundbriefs dürfen wir Sie wieder um die Überweisung Ihres Mitgliedsbeitrags ersuchen. Er bleibt auch für 2017 mit

21,80 €

unverändert. Jede Überzahlung oder Spende stellt für unsere gemeinsame Arbeit eine wichtige Hilfe dar und wird dankbar entgegengenommen. Ein Erlagschein liegt bei. Bitte achten Sie darauf, Ihren Namen leserlich einzutragen, damit wir den Beitrag richtig zuordnen können!

Ich wünsche Ihnen ein gutes und erfolgreiches Jahr 2017 und verbleibe im Namen der Josef Weinheber-Gesellschaft

mit herzlichen Grüßen

Christian Weinheber-Janota e. h. (Präsident)

Ein Kommentar zu “Jahresbericht 2016/ Programmausblick 2017

  1. Pingback: Die 10 schönsten Weinheber-Gedichte | Weinheber-Forum

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