Der deutschmährische Schriftsteller Franz Spunda – Buchpräsentationen im Oktober 2017

Die Germanisten Herbert Zeman und Oliver Jahraus geben in Verbindung mit der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste (München) die Reihe „Erträge Böhmisch-Mährischer Forschungen“ heraus. Vor kurzem ist Band 11 erschienen: Franz Spunda (1890–1963). Deutschmährischer Schriftsteller, magischer Dichter, Griechenlandpilger. Studien und Texte (LIT Verlag, Wien-Münster, ISBN 978-3-643-50793-8). Wir haben über dieses Buch, das einem Zeitgenossen und partiellen Weggefährten Josef Weinhebers gewidmet ist, berichtet. In diesem Zusammenhang möchten wir Sie nun zu folgenden Terminen herzlich einladen:

 

Donnerstag, 12. Oktober 2017, 19:00 Uhr

Literaturmuseum Grillparzerhaus, Johannesgasse 6, 1010 Wien (freier Eintritt)

Buchpräsentation durch die Herausgeber, Dr. Christoph Fackelmann und em. o. Univ.-Prof. Dr. Herbert Zeman

Der aus Olmütz stammende Dichter Franz Spunda zählte zu den schillernden Protagonisten einer Literatur im Schatten der „transzendentalen Obdachlosigkeit“ zwischen den großen Kriegen. Aus okkultem Interesse erwuchsen die phantastischen Romane seiner Anfangsjahre. In bewusster Absetzung vom goethezeitlichen Griechenland-Bild verbanden seine vielbeachteten Reisebücher realistische Gegenwartserfahrung mit mystischen Versenkungserlebnissen. In seiner historischen Epik bemühte er sich um kulturgeschichtliche Orientierung und spirituelle Erneuerung. Dadurch bezog Spunda einen markanten Ort in der Epoche. Er fesselte als Vermittler virulenter Lebensreformideen und spekulativer kulturmorphologischer Entwürfe. Die daraus abgeleiteten politischen Konsequenzen waren in den 30er Jahren von der Annäherung an den Nationalsozialismus überschattet, die der Autor jedoch später mit entschiedenen Werken der Inneren Emigration wieder zurücknahm.

Das vorgestellte Buch dokumentiert das von der Österreichischen Goethe-Gesellschaft gemeinsam mit dem Institut für Germanistik der Universität Wien veranstaltete literaturwissenschaftliche Kolloquium aus dem Herbst 2015. Die Herausgeber sprechen über den heute vergessenen Schriftsteller. Sie werden begleitet von Dr. Herbert Schrittesser, der prägnante Passagen aus literarischen und autobiographischen Zeugnissen Franz Spundas zu Gehör bringt.

 

Donnerstag, 19. Oktober 2017, 18:30 Uhr

Weinhebersaal des Volksbildungskreises, Prinz-Eugen-Straße 44, 1040 Wien (freier Eintritt)

Ein Abend für Franz Spunda

Vortrag und Lesung: Dr. Christoph Fackelmann, Harald Cajka

Zwischen der alten nordmährischen Bischofsstadt Olmütz und der geheimnisvollen Mönchsrepublik auf dem Athos bewegten sich Leben und Schaffen des sudetendeutschen Schriftstellers Franz Spunda. Bis vor wenigen Jahrzehnten wurden seine Romane und Reisebücher gern und viel gelesen, heute ist er hingegen nur noch Kennern ein Begriff. Doch es lohnt sich, den Autor in Erinnerung zu rufen. Das versucht der neue Band mit Studien und Texten vom literaturwissenschaftlichen Standpunkt aus. Begleitend dazu wendet sich der Abend im Volksbildungskreis allgemein an die Literaturliebhaber, die an guter Literatur interessierten Leserinnen und Leser. Er wird vor allem Franz Spunda selbst in vielfältigen Proben aus dessen faszinierendem Lebenswerk zu Wort kommen lassen.

Ein neues Buch über Franz Spunda

Christoph Fackelmann, Herbert Zeman (Hg.): Franz Spunda (1890–1963). Deutschmährischer Schriftsteller, magischer Dichter, Griechenlandpilger. Studien und Texte (=Erträge Böhmisch-Mährischer Forschungen, Bd. 11). Münster-Wien: LIT 2017, 200 S., 29.90 EUR, 29.90 CHF, br., ISBN 978-3-643-50793-8.

In der Zwischenkriegszeit und bis hinein in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren die phantastischen Romane, historischen Dichtungen und Reisebücher von Franz Spunda (1890–1963) hoch angesehen und viel gelesen. Heute sind sie großteils vergessen, obwohl sie noch immer zu faszinieren verstehen. In den „Erträgen Böhmisch-Mährischer Forschung“, der Schriftenreihe der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste (München), ist nun ein Band über den aus Olmütz gebürtigen Schriftsteller erschienen, der dazu beitragen möchte, den schillernden Autor wieder in Erinnerung zu rufen. Die Herausgeber, Christoph Fackelmann und Herbert Zeman, knüpfen damit an ein kleines Symposion an, das die Österreichische Goethe-Gesellschaft gemeinsam mit dem Institut für Germanistik der Universität Wien im November 2015 veranstaltete (siehe http://weinheberforum.com/2015/10/13/deuter-seher-suchender/). Das Buch versammelt literarhistorische Studien über den Dichter, eine umfassende Zeittafel zu Leben und Werk, die auch wenig bekanntes wirkungsgeschichtliches Material zu Tage fördert, sowie – als besonderen Fund – autobiographische und programmatische Texte aus der Feder von Spunda selbst.

Franz Spunda war nach der Kindheit und Jugend in Mähren zum Studium nach Wien gekommen und übernahm hier 1918 eine Gymnasialprofessur für Deutsch, Französisch und Philosophische Propädeutik. In Wien entstanden seine dichterischen Hauptwerke und seine kulturhistorischen Schriften. Zu seiner Familie in Olmütz – den Eltern und den drei Schwestern – hielt er engen Kontakt und verbrachte bis zur Vertreibung viel Zeit in der Heimat. Der Vater war Schneidermeister für das fürsterzbischöfliche Seminar, die Mutter entstammte einer Tuchmacherfamilie in Odrau, Österreichisch-Schlesien. Franz Spundas eigene Sehnsuchtsorte waren in Griechenland und Kleinasien, wo er den Spuren der archaischen Mysterien, der byzantinischen Kultur und besonders der orthodoxen Mystik nachspürte. Viele Wochen verbrachte er in der Mönchsrepublik auf dem Athos, um unter den Eremiten und Asketen zu leben und deren erlösungshungrige Frömmigkeit kennen zu lernen. Daraus entstanden autobiographische Reiseschilderungen, die in den Büchern „Griechische Reise“ (1926, erweitert 1938 unter dem Titel „Griechenland. Fahrten zu den alten Göttern“), „Der heilige Berg Athos“ (1928) und „Legenden und Fresken vom Berg Athos“ (1962) zusammengefasst wurden (dazu der Beitrag Christoph Fackelmanns).

Dem hellenischen und dem romanisch-italienischen Kulturkreis wandten sich auch Spundas Geschichtsromane zu. Am bekanntesten wurden „Minos oder Die Geburt Europas“ (1931) und die „Westgoten-Trilogie“ (1936–1938), beides Darstellungen einer Zeitenwende. In die Vergangenheit seiner engeren Heimat kehrte „Der Herr vom Hradschin“ zurück, ein mutiger Roman über Kaiser Karl IV., worin mitten im Krieg, 1942, die Versöhnung zwischen den Deutschen und den Slawen gepredigt und eine Politik des Friedens und des Maßhaltens gepriesen wurde. Im Prag Kaiser Rudolfs II. und des Rabbis Löw spielt eine Episode des späten Romans „Verbrannt von Gottes Feuer“ (1949), der in der historischen Gestalt Giordano Brunos mit deutlich autobiographischem Unterton die „Rolle des Intellektuellen im Zeitalter der Totalitarismen“ reflektiert, war doch der Dichter selbst durch eine Phase der aktiven Sympathie für den Nationalsozialismus hindurch zu einer Haltung der „Inneren Emigration“ gelangt (Beitrag Alexander Martin Pflegers).

Ein Beitrag Herbert Schrittessers widmet sich den frühen okkult-phantastischen Romanen, in denen sich nach der Aussage des Dichters das „Chaos der Welt“ nach dem Krieg und die eigenen „seelischen Krisen“ spiegelten (u.a. „Der gelbe und der weiße Papst“, 1923, „Das ägyptische Totenbuch“, 1924, beide in Gustav Meyrinks Reihe „Romane und Bücher der Magie“ erschienen). Hinweise auf die kulturgeschichtliche Essayistik – insbesondere die Paracelsus-Studien (1925, erweitert 1941), mit denen Spundas esoterisches Weltbild zu Klarheit und Eigenständigkeit fand – enthält u.a. die Einleitung Herbert Zemans, die versucht, das geistige Profil dieses „Wanderers zwischen den Welten“ einzuschätzen.

Die kleine Franz-Spunda-Renaissance rund um den 125. Geburtstag des Dichters hat 2015 mit einem vielfältigen Sammelband der Universität Olmütz/Olomouc („Franz Spunda im Kontext“, hg. v. Lukáš Motyčka) begonnen: http://arbeitsstelle.upol.cz/de/publikace/prispevky-k-nemecke-moravske-literature/franz-spunda-im-kontext/. – Inzwischen sind auch mehrere Werke neu aufgelegt: www.edition-pleroma.de. – In dem vorliegenden Band finden diese Bemühungen eine kompakte und informative Fortsetzung. Das neue Buch ist im Buchhandel zu beziehen und kann auch direkt über den Webshop des Verlags bestellt werden (innerhalb Deutschlands und Österreichs versandkostenfrei): http://www.lit-verlag.de/isbn/3-643-50793-8

Arbeitsbegegnungen mit Weinheber

Friedrich Sacher:

ARBEITSBEGEGNUNGEN MIT WEINHEBER

Zum 125. Geburtstag Josef Weinheber veröffentlichen wir auf dem Weinheber-Forum noch einen besonderen Text. Die Erinnerungsliteratur, die sich nach dem frühen Tod des Dichters in nicht geringer Fülle herausbildete, hat nur wenige seinesgleichen. Sein Verfasser ist der niederösterreichische Schriftsteller, Lehrer und Literarhistoriker Friedrich Sacher (1899-1982). Er hat einen besonders einfühlsamen und aufschlußreichen Bericht über seinen Umgang mit Josef Weinheber hinterlassen.

Sacher war seit den frühen dreißiger Jahren ein enger Wegbegleiter Weinhebers, zunächst als dessen Deuter und Vermittler in einer Reihe von literaturkritischen Veröffentlichungen, deren wichtigste, die kleine monographische Studie „Der Lyriker Josef Weinheber“, der Erstauflage von „Adel und Untergang“ (1934) beigegeben war. An dem Zustandekommen dieses Buches, das die erste Ausgabe Weinheberscher Lyrik nach acht verlagslosen Jahren wurde, war Sacher als nimmermüder Fürsprecher maßgeblich beteiligt. Allmählich wurde aus dem distanziert fördernden Eintreten des jüngeren für den älteren Dichter eine wirkliche Freundschaft, und an der immer engeren Vertrautheit mit Weinhebers Kunstauffassungen und den intimen Einsichten in dessen Werkstatt wuchs auch Sachers eigene Künstlerschaft. Es kam zu regelmäßigen Arbeitssitzungen, bei denen eigene und fremde Lyrik erörtert und poetologische Fragen diskutiert wurden. Vor allem in der Anfangszeit beteiligten sich daran auch der Lyriker Franz Staude (1886-1947) und der Literaturkritiker Leopold Liegler (1882-1949), der einstige Biograph und Privatsekretär des von allen vier verehrten Karl Kraus. Friedrich Sacher veranstaltete mehrere verdienstvolle Sammelbücher mit Proben der jungen Lyriker aus seinem Umkreis („Anthologie junger Lyrik aus Österreich“, 1930; „Die Gruppe“, 1932, 1935) und legte in den späten dreißiger Jahren eigene bedeutende Lyrikbücher vor: „Maß und Schranke“ (Josef Weinheber gewidmet), „Mensch in den Gezeiten“ (jeweils 1937), gesammelt und erweitert zu dem „Buch der Mitte“ (1939). Dem letzteren gab Weinheber einen begeisterten Brief und eine sehr lobende Besprechung mit auf den Weg.

Die nachfolgende Reminiszenz „Arbeitsbegegnungen mit Weinheber“ entstand 1950 und wurde zum ersten Mal in dem von Heinrich Zillich herausgegeben Buch „Bekenntnis zu Josef Weinheber. Erinnerungen seiner Freunde“ publiziert. Wir geben sie nach dem betreffenden Band der „Ausgewählten Werke“ von Friedrich Sacher („Die Brunnenstube“, Kremayr & Scheriau 1964, S. 280-284) wieder. Das besondere Flair dieser Erinnerung an der großen Freund ergibt sich aus der Konzentration auf jene Seite Josef Weinhebers, die – hinter all der polternden Anekdotik, die sich sonst mit dessen Namen verband – den Wesenskern der Persönlichkeit ausmachte: das unbedingte, dem Werk und der Sprache hingegebene Künstlertum, dem das schöpferische Nachgrübeln über gestalterische Feinheiten des lyrischen Gedichts an die größten Geheimnisse der Welt und des Menschseins rührte.

 

Zu einem eigentlichen Briefwechsel zwischen Weinheber und mir ist es nicht gekommen. Sobald mich nämlich eine Karte oder ein Brief von ihm erreichte, machte ich mich auf und fuhr zu ihm.

Bis zum Dezember 1934 lebte ich in Klosterneuburg. Wein­heber, der im Postdienst stand, konnte genau abschätzen, wann ich sein Schreiben erhalten werde. Er konnte sicher sein: drei, vier Stunden später saß ich schon neben ihm vor seinem Schreibtisch in Wien.

Unsere Begegnungen damals waren Arbeitsbegegnungen. Es war in den entscheidenden Jahren unmittelbar vor und nach Erscheinen von „Adel und Untergang“, den ertragreichsten Jahren unserer Freundschaft. Jede dieser Begegnungen hatte einen vorbestimmten Zweck.

Als ich kurz vor Weihnachten 1934 nach Wien, in die Nähe von Schönbrunn, übersiedelte, wurde unsere Verbindung noch einfacher. Er rief mich an, und ich fuhr zu ihm in den 3. Bezirk, „auf die Landstraße“, hinüber.

Dann und wann versuchten wir auch, die Lösung eines knifflichen Problems gleich am Telephon zu finden. Ich er­innere mich eines Anrufes, der sage und schreibe einen Bei­strich zum Anlaß und Inhalt hatte. Da wir hüben wie drüben ein jeder immer wieder ein Buch aus der Bibliothek heranhol­ten, der eine wie der andere eine weitere Belegstelle für seine These, mußten wir das Gespräch zweimal verlängern. Wenn ein Außenstehender mitgehört hätte, er hätte uns wohl für verrückt gehalten.

Weinheber wußte von mir, daß ich ein Landkind gewesen, auf dem Lande aufgewachsen war und daß ich auch in Kloster­neuburg jeweils ein Gartenzimmer bewohnte. Nun hatte ich es in Wien zum Glück wieder so gut getroffen, daß ich die Groß­stadt überhaupt nicht verspürte: den Blick vorne hinaus in einen Park, hinten hinaus in zwei Privatgärten und ein Pfarr­gärtlein, in die Sonne, ins Grüne.

Er selber wohnte „in den Steinen“, auf dem kleinen Rudolf-­von-Alt-Platz, an dem ich freilich außer seiner verhältnismäßig großen Stille immer nur den Namen schätzte, weil dieser mich an einen meiner Lieblingsmaler erinnerte. Weinheber hatte es trotzdem vorzüglich verstanden, seine Wohnung innen so gemütlich und ansprechend wie möglich zu gestalten, ein rich­tiges, warmes Daheim für lange Winterabende. Gegen den Umstand allerdings, daß die Wohnung in einen finsteren Schachthof hinausging, vermochte er nichts.

Es beweist nun sein Feingefühl, daß er meine Beklemmung spürte, obwohl sie unausgesprochen blieb, und es beweist sei­nen Herzenstakt, wie er wortlos auf seine Art Abhilfe fand. Unsere Arbeitsbegegnungen im Frühling, Sommer oder Herbst verliefen nämlich meistens so: Ich kam gegen vier Uhr bei ihm an, und wir nahmen mit Frau Hedwig die Jause. Sogleich nach der Jause aber rückten wir aus, wobei wir versprachen, um sieben zum Abendessen wieder daheim zu sein.

Was wir brauchten, nahmen wir mit: etwas Schreibpapier, in diesem und jenem Sack ein Bleistiftstümpfchen, ein paar seiner Gedichte, die wir durchgehen wollten, ein Fachbuch allenfalls, ein kleines Nachschlagewerk oder auch einmal einen neuerschienenen Lyrikband, einen Zeitschriftenaufsatz, Buch­besprechungen, bedeutende Briefe, die er inzwischen erhalten hatte, oder auch einmal gar nichts, wenn wir – während der Jahre seiner Erfolglosigkeit – nur wichtige Pläne zu schmieden hatten, uns darüber klar werden mußten, was jetzt als nächstes in unserem Feldzug gegen die blinde, taube und lahme Offentlichkeit zu geschehen hatte. Daß wir auf unseren Spaziergängen manchmal richtig in Rage kommen konnten und wie die Rohrspatzen zu schimpfen begannen, begreift sich leicht. Wenn wir in solcher Stimmung jemandem begegneten, der uns nicht kannte, mußte er denken: Zwei Aufgeregte! — ­Meistens aber wurde Weinheber von den Leuten in der Nach­barschaft ohnehin erkannt, und die schmunzelten uns dann ihr „Eh-schon-Wissen!“ zu. Wir gingen fast immer denselben Weg aus der Stadt hinaus ins Offene, Freie: die untere Löwengasse hinab und links um die Ecke ein paar Schritte die Rasumofsky­gasse entlang, über die Rotundenbrücke hinüber, und schon waren wir im Grünen, im Prater und Unteren Prater. Wir durchquerten nämlich die Jesuitenwiese, gingen dann am Heu­stadlwasser entlang bis zu dessen Ende, benützten auf dem Rückweg die Hauptallee bis vorn zum Konstantinhügel, dort bogen wir seitwärts ab, und – am Teich mit seinen Booten und Schwänen vorbei – ging’s wieder heimzu über die Rotundenbrücke. Im Wandern und da und dort auf einer Bank, auf einem Baumstamm besprachen und erledigten wir unser Arbeitsvorhaben, genossen wir die von uns zu allen Jahreszeiten geliebte Landschaft. Manche Baumgruppe ließ uns überdies an Alt, an Waldmüller denken.

In den Jahren der Verlassenheit hat sich mir auf diesen zweisamen Wanderungen Weinheber ganz aufgeschlossen. Seine Sorge um das Werk, seine Bitterkeit, sein Trotz, sein Stolz, seine Verzweiflung wurden hier laut. Das für mich Erregend­ste waren die peinigenden Selbstzweifel des großen Künstlers, seine Zwangsvorstellung, ich könne mich mit meiner positiven Beurteilung seiner Lyrik irren, und in Wirklichkeit hätten vielleicht seine Gegner recht, die ihm höchstens ein Dutzend­talent zubilligten und die seine von ihm bisher errungene, ohnehin bescheidene Geltung auch noch einzuschränken trach­teten mit dem Hinweis darauf, daß ihnen dieses oder jenes an seiner Lebensführung mißfalle. Dann war es an mir, seinem wunden Herzen wieder die Ruhe zu geben und dem erschüt­terten Selbstvertrauen mit den Argumenten, die mir zu Gebote standen, wieder aufzuhelfen.

Gegen die Tugendheuchler aber wurde ich heftig. Ein Kunst­werk und das empirische Ich seines Schöpfers seien nicht ein und dasselbe. Obendrein sei unser innerstes Wesen ein Geheim­nis, uns selber verschlossen und schon gar nicht einem anderen erfahrbar, erfaßbar. Unsere letzten Antriebe würden über­haupt nur jenem Einzigen offenbar, der unser Schöpfer und unser aller Richter sei. Außerdem wußte Weinheber, was ich gerade darum von den Lebensbeschreibungen hielt, noch von den besten und umsichtigsten, für wie trügerisch ich die Hoff­nung hielt, daß das fleißige Zusammentragen und Zusammen­setzen von tausend Lebensbruchstücken (ja selbst von allen, wenn uns der Zufall diese bescherte), daß so ein mühsam gesammelter Scherbenberg jemals wieder ein Ganzes oder gar ,,die Wahrheit“ ergebe. Eine Welt aber, die hämisch nur unsere Niederlagen aufzeichnet und von unseren Siegen über uns selbst nicht einen einzigen zur Kennunis nimmt, sei als Rich­terin zu befangen und darum unmaßgeblich. Wenn er, ruhiger geworden, plötzlich stehenblieb und mir stumm die Hand drückte, wußte ich, daß ich ihn hatte etwas trösten dürfen. Mich selbst aber erfüllte dann ein stürmisches Glücksgefühl.

Nun, auf einem solchen Rundgang sind wir aber auch einmal in einer heiteren Angelegenheit übereingekommen. An­fang Juni 1936 waren Weinheher und Frau Hedwig bei mir in Meidling zu Besuch gewesen. Weinheber brachte viele Gedichte mit; denn er legte damals seine „Späte Krone“ zu­sammen. Weinheber las also Gedichte vor. Dieses eine Mal aber entging auch ich meinem Schicksal nicht. Hedwig ließ nicht locker. Sie erklärte es zu meiner Hausherrenpflicht, daß ich nun meinerseits einige Gedichte lese. Bei allen meinen Arbeitsbegegnungen mit Weinheber war nämlich bisher auf meinen Wunsch von mir nicht die Rede gewesen. Ich las also einige wenige meiner neueren Gedichte vor. Darunter auch die „Parabel“. In der Urfassung dieses Gedichtes standen die beiden Verse:

Luft und Duft von Salbei und Kamille
überkroch ihn, selig arm und bloß.

Die Fügung „Salbei und Kamille“ und mein Reimwort „Stille“ wurden in Weinheber zum Keim eines neuen Gedichtes. Ein paar Tage nachher entstand eines der herrlichsten Gedichte in deutscher Sprache, Weinhebers Lied „Im Grase“. In diesem Lied aber war nun das „Salbei und Kamille“ schon rein klanglich ein wesentlicher Bestandteil, ja die Urzelle gewor­den. Was tun? Ich bat, da ich verreiste, Weinheber brieflich, er möge, bis ich wiederkomme, einstweilen darüber nachden­ken, wie wir sein oder mein Gedicht an dieser Stelle ändern könnten. Bei meinem nächsten Besuch und auf unserem ge­wohnten Rundgang trat ich ihm dann den „Salbei“ ab und erklärte, meinen Vers abzuändern in:

Luft und Duft von Minzen und Kamille.

In dieser Fassung nahm ich mein Gedicht in „Maß und Schranke“ und später in „Das Buch der Mitte“ auf. Daheim aber holten wir uns rasch das „Kräuterbüchlein“ aus der „Insel“-Reihe her und blätterten zur Vorsicht nach, ob das mit unserem Wiesenflor wirklich noch alles jahreszeitlich zu­sammenstimme. Damit wir keinen „Plutzer“ machten!

Verlangte jedoch ,eine Arbeit von uns strengste Sammlung und Abgeschlossenheit, wie die gemeinsame Redaktion von „Adel und Untergang“, so blieben wir in den vier Wänden. Dabei verging uns Hören und Sehen für alles andere. Hedwig hatte es dann mit uns nicht leicht. Das schönste Essen wurde ihr zweimal welk und kalt.

In der Nachkriegszeit hin ich einmal an einem Sonntag im Vorfrühling unseren einstigen Rundweg wieder gegangen. Wie machte dieser Weg mich traurig, wo jeder kleine Pfad und jeder alte Baum – Bänke standen nirgends mehr – mich an den toten Freund gemahnten!