Jahresbericht 2013 / Programmausblick 2014

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Josef Weinheber-Gesellschaft!

Der im letzten Jahresbericht angekündigte aktuelle Band unserer neu belebten Schriftenreihe, der „Literaturwissenschaftlichen Jahresgabe der Josef Weinheber-Gesellschaft“, ist erschienen. Im vergangenen Jahr konnte die Arbeit an dieser umfangreichen Sammlung von Aufsätzen und Editionen abgeschlossen werden. Wir freuen uns, Ihnen das fertige Buch in Verbindung mit diesem Schreiben bereits vorlegen zu können. Wie immer erhalten alle Mitglieder der Josef Weinheber-Gesellschaft ein Freiexemplar. Sie haben durch Ihren Mitgliedsbeitrag mitgeholfen, die kostspielige Drucklegung zu ermöglichen. Da wir bei unseren Publikationen ganz ohne Subventionen von öffentlicher Hand auskommen müssen, sind wir für Zuwendungen, die über den Mitgliedsbeitrag hinausgehen, freilich gerade im Hinblick auf solche Projekte sehr dankbar!

Der über 300 Seiten starke Dreifachjahrgang unserer Schriftenreihe möchte ein kräftiges Zeichen setzen, das für eine sachgerechte, sowohl von Sympathie als auch von kritischem Interesse und Differenzierungsvermögen getragene Befassung mit Josef Weinheber und dessen Epoche steht. Sie finden in dem Buch eine Reihe von literarhistorischen Darstellungen und Analysen, die sowohl Josef Weinheber selbst als auch „benachbarten“ Schriftstellern und dem literarischen Leben seiner bewegten Zeit gelten. Darüber hinaus aber bietet der Band auch Einsichten in wertvolle und aufschlussreiche Originalquellen, die zuvor noch nie das Licht der Öffentlichkeit erblickten. So ist etwa ein großer Abschnitt dem Briefwechsel gewidmet, den Weinheber mit einem faszinierenden Zeitgenossen, dem einzelgängerischen Dichterphilosophen Erwin Guido Kolbenheyer, führte. Weiters ist eine kleine Skizze zu finden, in der der Militärtierarzt Franz Huber die Erinnerungen an seine während des Krieges, vermutlich 1943, erfolgte Begegnung mit Josef Weinheber festhielt. Zum Andenken an das vor wenigen Jahren verstorbene Ehrenmitglied Friedrich Jenaczek ist ein umfangreicher Brieftraktat aufgenommen, den der große Weinheber-Philologe an den nach Jerusalem emigrierten Schriftsteller und Literaturgelehrten Werner Kraft richtete. Darin entfaltete er bereits 1963 die Grundzüge jener tief schürfenden Auseinandersetzung mit dem Werk Weinhebers (und Karl Kraus’), die ihn sein Leben lang begleiten sollte. Nicht zuletzt sei in diesem Zusammenhang noch auf ein besonderes Fundstück hingewiesen, das die neue „Jahresgabe“ bereithält: Es ist ein bisher unbekanntes, ergreifendes Totengedicht auf Josef Weinheber, das der niederösterreichische Arzt und Dichter Josef Weber-Wenzlitzke – nicht nur ein Jahrgangsgenosse, der mit dem berühmten Lyriker aus Kirchstetten persönlichen Umgang pflegte, sondern in manchem auch ein Seelenverwandter – kurz nach dem Ende des Krieges verfasste. Eine Niederschrift gelangte über den Antiquariatshandel glücklich in die Hände Ralf Gnosas, des Geschäftsführers der Paul Ernst-Gesellschaft, der uns in seinem Beitrag das Gedicht und den Autor Josef Weber näher bringt.

Ein Anhang zu dem neuen Band dokumentiert eine weniger erfreuliche Entwicklung, die uns durch das vergangene Jahr begleitete: die Kampagne gegen das Denkmal für Josef Weinheber, das 1975 von der Weinheber-Gesellschaft auf dem Schillerplatz bei der Akademie der bildenden Künste in Wien errichtet worden war. Im Sommer 2013 eskalierte der schon länger flackernde Streit, als eine Gruppe „antifaschistischer“ Kunststudenten den Sockel des Denkmals zum Zwecke einer „künstlerischen Intervention“ mutwillig bloßlegten. Sie wollten damit auf ihre an dem „Nazi-Dichter“ Josef Weinheber festgemachten „geschichtspolitischen“ Forderungen aufmerksam machen und einen radikaleren Umgang Wiens mit vermeintlichen Spuren unbewältigter Vergangenheit bewirken. Manche Medien nützten die erklärtermaßen widerrechtlich erfolgte, von der zuständigen Behörde selbstverständlich nicht genehmigte Nacht- und Nebel-Aktion, um die Aufregung zu schüren; einige Prominente und sogar ein Teil der Stadtverantwortlichen solidarisierte sich mit den Kulturkämpfern. Etwa zur gleichen Zeit präsentierte eine von der Stadt eingesetzte Projektgruppe um den Zeithistoriker Oliver Rathkolb unter großem medialen Aufsehen ihren Bericht über jene Straßenbenennungen Wiens, die aus ihrer Sicht in „geschichtspolitischer“ Verantwortung zu hinterfragen seien. Auch dabei geriet u. a. Josef Weinheber – nach dem ein unscheinbarer Platz in seinem Heimatbezirk Ottakring benannt ist – in den Fokus der Kritik.

Die Weinheber-Gesellschaft sah sich angesichts dieser Zuspitzungen zum Einschreiten genötigt. Die Zeugnisse ihrer Intervention sind im vorliegenden Band, gemeinsam mit einer Stellungnahme aus Anlass eines früheren Aufflammens der Denkmalsturz-Kampagne, abgedruckt. Ihr Offener Brief an den zuständigen Kulturstadtrat brachte in Verbindung mit einer energischen Fürsprache der Bezirksvorsteherin der Inneren Stadt, Ursula Stenzel, im Frühherbst 2013 erste Gespräche mit dem Büro des amtsführenden Stadtrats für Kultur und Wissenschaft, Dr. Andreas Mailath-Pokorny. Dessen zuständige Mitarbeiter äußerten Bedauern über die voreilige Solidaritätsadresse des Stadtrats zugunsten des als Kunst verbrämten Vandalismusaktes. Man gestand auch ein, sich vor den einschlägigen Presseerklärungen nicht über Herkunfts- und Besitzverhältnisse des Denkmals orientiert zu haben. Den Vertretern der Weinheber-Gesellschaft sicherte man nun zu, künftig keinerlei Entscheidungen und Maßnahmen in der Sache des Denkmals am Schillerplatz ohne Einbindung des Stifters und Errichters zu unterstützen oder zu betreiben.

Zugleich machte man aber klar, dass die Absicht der Stadtregierung aufrecht bleibe, das Denkmal einer „kritisch kontextualisierenden“ Adaption zu unterziehen, sei es bloß durch Errichtung einer erläuternden „Zusatzttafel“, sei es im Zuge des Programms „Kunst im öffentlichen Raum“ (KÖR), also durch eine weitere, womöglich dauerhafte „künstlerische Intervention“. Die Vertreter der Weinheber-Gesellschaft äußerten ihre grundsätzliche Diskussionsbereitschaft und erklärten sich willens, an einer von Verständnis und Sachverstand getragenen Lösung des Konflikts mitzuarbeiten. Sie stellten jedoch ihrerseits klar, dass aus ihrer Sicht nicht daran zu denken sei, das Denkmal dazu zur Verfügung zu stellen, dass sich an ihm in plakativer Weise der zeitgeistige Vergangenheitsbewältigungsfuror austoben könne, sodass alles darauf hinausliefe, an Weinheber ein politisches Exempel in eigener Sache zu statuieren. Den Überlegungen, das Monument in das städtische „KÖR“-Programm einzubeziehen, stehen wir in Anbetracht dessen skeptisch bis ablehnend gegenüber.

Hingegen wurde noch im Herbst ein von der Gesellschaft erarbeiteter erster Entwurf für eine Inschrift, die auf einer etwaigen separaten Informationstafel auf der Grünfläche neben dem Denkmal anzubringen wäre, den Referenten des Stadtrats vorgelegt. Die von deren Seite angekündigten weiterführenden Gespräche haben bis jetzt allerdings nicht stattgefunden. Unser Textvorschlag bemüht sich vor allem um sachgerechte Abwägung. Er muss versuchen, einerseits unser eigentliches Interesse, die gesamtheitliche Perspektive auf den heute ja kaum noch bekannten Dichter, zu wahren und andererseits die politisch-historische Problematik, um die es den Vertretern der Stadtregierung geht, auf den Punkt zu bringen, und zwar so, dass es mit der unbedingt gebotenen Umsicht geschieht. Die schwierigen und vielschichtigen Verhältnisse sind ja gerade nicht an einem Schwarz-Weiß-Schema festzumachen und in wenigen Sätzen entsprechend schwer zu vermitteln:

Josef Weinheber, geboren am 9. 3. 1892, gestorben am 8. 4. 1945, ehemaliger Waisenhauszögling aus der Wiener Vorstadt Ottakring, entwickelte seit Anfang der zwanziger Jahre seine Poetik des „reinen Gedichts“. Seine lyrischen Hauptwerke standen im Zeichen eines an Karl Kraus geschulten „Sprachgewissens“ und knüpften an den „Zeitkampf“ der „Fackel“ an („Adel und Untergang“, 1934, „Späte Krone“, 1936). In seiner beliebten Sammlung „Wien wörtlich“ (1935) entwarf Weinheber in der Tradition Nestroys ein lyrisches Porträt der Stadt, ihrer Typen, Landschaften und Szenerien. Dem radikalen Formbewusstsein entsprach das Bekenntnis zu einem tragischen Humanismus: Durch Sprache wird der Mensch „eine geistige Wirklichkeit“; Kunst in sprachvergessener, tatberauschter Zeit ist „Dienst im aufgelösten Heiligtume“.

Anfang der 1930er Jahre sympathisierte Weinheber mit einer „nationalen Revolution“, von der er sich vor allem kulturpolitisch die Überwindung des verachteten Systems erhoffte. Er war zeitweilig Mitglied der NSDAP und engagierte sich bei dem Versuch, österreichische Schriftsteller in deren Umfeld zu versammeln. Obzwar rasch ernüchtert, von der völkischen Ideologie und deren literarischer Doktrin („Blut und Boden“) abgestoßen, löste er sich doch zeitlebens nicht mehr von diesem Lager. In seinen Büchern blieb er kompromisslos und stellte dem „grässlichen Herrn der Erde“ sein Ideal vom „Menschen der Mitte“ entgegen. Dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland im März 1938 begegnete Weinheber bereits mit Ablehnung, über den Verlauf zeigte er sich entsetzt. Von äußeren und inneren Zwängen genötigt, fand er sich danach dennoch immer wieder bereit, Auftragstexte zu offiziellen politischen Anlässen zu verfassen („Hymnus auf die Heimkehr“, 1938, „Wien an den Führer“, 1943, etc.). Er ließ sich ehren und feiern.

Trotzdem empfand er seinen späten Ruhm von Anfang an als „Mißverständnis“: „Ich mußte, seitdem ich berühmt bin, dem Mob aller Schattierungen meinen Tribut zahlen. Gleichwohl weiß ich um meine Substanz. Sie ist umschrieben mit: Einsamkeit, Urangst, Frömmigkeit.“ Seine letzten Gedichtzyklen („Zwischen Göttern und Dämonen“, 1938, „Kammermusik“, 1939, „Hier ist das Wort“, postum 1947) betonen den Widerspruch zu jener Welt. Sie bezeugen eine unabhängige menschliche und künstlerische Haltung sowie eine ebenso zeit- wie selbstkritische Geistigkeit. Josef Weinheber starb, zerrüttet und verzweifelt, an einer Überdosis Morphium.

Es sollte allen Freunden Josef Weinhebers und ganz besonders den Mitgliedern und Mitwirkenden in der Josef Weinheber-Gesellschaft ein dringendes Anliegen sein, für das Verständnis einzutreten, das Werk und Persönlichkeit unseres Dichters verdienen, das diesen aber in einer auf Schlagwörter und Klischees konzentrierten Öffentlichkeit zusehends verweigert wird. Unterstützen Sie daher bitte unsere Bemühungen um Aufklärung und kompetente Einflussnahme auch in dieser bedauerlichen Angelegenheit!

In diesem Sinne dürfen wir das an den Schluss des letzten Jahresrundbriefs gestellte Bekenntnis wiederholen: Wir wollen gemeinsam, aber auch jeder für sich mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten für eine erweiterte Wertschätzung und vertiefte Kenntnis der Gestalt unseres Dichters eintreten! Auch heuer sei daran der Hinweis geknüpft: Über aktuelle Pläne und Veranstaltungen zum Thema Josef Weinheber informieren Sie nicht nur unsere brieflichen Aussendungen, sondern auch das „Weinheber-Forum“ im Internet, das Sie unter der Adresse https://weinheberforum.wordpress.com erreichen. Dort finden Sie nicht nur die von der Weinheber-Gesellschaft selbst gestalteten Programmpunkte und alle unsere Mitteilungen laufend angezeigt, sondern auch Hinweise auf verschiedene Veranstaltungen aus den erweiterten Kreisen der Weinheber-Pflege. Gerne können Sie uns zu diesem Zweck auch auf Ihnen bekannte weitere Vorträge, Lesungen oder Aufführungen aufmerksam machen (E-Mail-Kontakt: information@weinheber.at)!

Zu guter Letzt dürfen wir um Überweisung des Mitgliedsbeitrages bitten, der auch für 2014 mit € 21,90 unverändert bleibt. Für jede Überzahlung oder Spende sind wir, wie anfangs erwähnt, überaus dankbar. Bankdaten: IBAN: AT 736 000 000 007 777 752, BIC: OPSKATWW (Josef Weinheber-Gesellschaft, Kirchstetten).

Mit lieben Grüßen

Christian Weinheber-Janota e. h. (Präsident)

Kirchstettener Weinheber-Lesung 2013

Ulli Fessl und Peter Uray lesen Josef Weinheber

Sonntag, 13. Oktober 2013, 15:00 Uhr

Festsaal der Marktgemeinde Kirchstetten (NÖ); Eintritt: 10 Euro

Wie jedes Jahr laden die Josef Weinheber-Gesellschaft und die Marktgemeinde Kirchstetten zur herbstlichen Lesung aus dem Werk Josef Weinhebers. Das Programm bestreiten die beliebten österreichischen Schauspieler Ulli Fessl und Peter Uray, am Klavier begleitet von Leopold Grossmann.

Ein Fixtermin für alle Freunde des Dichters!

Kartenvorbestellung: 02743/8206 oder 02743/8989

Zur Kampagne gegen das Weinheber-Denkmal auf dem Schillerplatz – Offener Brief an den Wiener Kulturstadtrat

S. g. Herrn
Dr. Andreas Mailath-Pokorny
Wiener Landesregierung
Amtsführender Stadtrat für Kultur und Wissenschaft
Friedrich-Schmidt-Platz 5
1080 Wien

Wien – Kirchstetten, am 8. Juli 2013

Betrifft: Stellungnahme zur Kampagne gegen das von der Josef Weinheber-Gesellschaft errichtete Denkmal auf dem Schillerplatz in Wien

Die Josef Weinheber-Gesellschaft verwahrt sich gegen die undifferenzierte Kritik an dem Denkmal für Josef Weinheber, das 1975 von der Gesellschaft auf dem Wiener Schillerplatz errichtet und in die Obhut der Gemeinde übergeben wurde. Sie hält es für inakzeptabel, dass sich die Stadtregierung in Person des Kulturstadtrats auf die Seite einer kleinen, offenbar radikalen Gruppe stellt, die sich mit ihrer am vergangenen Wochenende am Denkmal verübten „Kunstaktion“ „Weinheber ausgehoben“ über einen Bescheid der städtischen Behörde hinweggesetzt hat. Die von den Protagonisten dieser Aktion geforderte und vom Stadtrat öffentlich unterstützte „Umgestaltung“ des Weinheber-Denkmals kommt für die Josef Weinheber-Gesellschaft solange nicht in Frage, als sie dem plumpen Verdikt gehorcht, Josef Weinheber als „Nazidichter“ zu brandmarken und an ihm ein „antifaschistisches“ Exempel zu statuieren. Eine verantwortungsvolle Kulturpolitik hätte eine sachliche, tatsachengerechte Diskussion über Josef Weinheber und sein Denkmal zu gewährleisten, der sich auch die Weinheber-Gesellschaft selbstverständlich nicht verschließen würde. Die Stadtregierung muss sich dessen bewusst sein, dass sie keineswegs freie Verfügungsgewalt über das Denkmal besitzt. Angesichts der derzeitigen Entwicklung behält sich die Josef Weinheber-Gesellschaft als letzte Konsequenz vor, das in ihrem Besitz befindliche Denkmal der Obhut der Stadtgemeinde wieder zu entziehen und von dem öffentlichen Platz, an dem es bisher stand, zu entfernen. 

 

Offener Brief an den Kulturstadtrat von Wien

 

„… ich musste, seit ich berühmt bin, dem Mob aller Schattierungen meinen Tribut zahlen. Gleichwohl weiß ich um meine Substanz. Sie ist umschrieben mit: Einsamkeit, Urangst, Frömmigkeit.“ (Josef Weinheber, 1943)

Wien – Kirchstetten, am 8. Juli 2013

Sehr geehrter Herr Stadtrat Dr. Mailath-Pokorny!

Die als „Denkmalssturm“ verkündete Aktion gegen das Josef-Weinheber-Denkmal auf dem Wiener Schillerplatz am letzten Juni-Wochenende sowie die sie begleitende, kampagnenartige Aufregung in verschiedenen Medien nötigt uns zu folgender Stellungnahme:

Die Gemeinde Wien ist eine Verpflichtung eingegangen, als sie das Weinheber-Denkmal auf dem Schillerplatz in ihre Obhut nahm.

Da es in den Selbstdarstellungen der aktionistischen Studentengruppe ebenso ausgeklammert wurde wie in der Presseberichterstattung, dürfen wir Ihnen, sehr geehrter Herr Stadtrat, eingangs eine Tatsache in Erinnerung rufen, über die Ihr Büro wohl unterrichtet sein müsste: Das in diesen Tagen erneut kritisierte Denkmal auf dem Schillerplatz wurde im Jahr 1975 von der Josef Weinheber-Gesellschaft errichtet. Die Stadt Wien hat dies damals nachdrücklich begrüßt und willkommen geheißen. Die Gemeinde hat, vertreten durch einen hohen Magistratsbeamten, das Denkmal bei der Einweihung am 21. Juni 1975 „in ihre Obhut übernommen“. Sie ging damit die Verpflichtung ein, für die Instandhaltung des ihr anvertrauten, aber nicht zum Eigentum und nicht in freie Verfügungsgewalt übergebenen Denkmals Sorge zu tragen. Dazu gehört nach unserer Auffassung selbstverständlich auch die Aufrechterhaltung des Denkmals in dessen ursprünglicher konzeptioneller Gestalt, also die Gewährleistung der ideellen Unversehrtheit. Dieser Aufgabe ist die Stadt bisher dankenswert nachgekommen, und das – wie wir annehmen, zur Zufriedenheit der allermeisten Wiener – etwa auch in der Beseitigung verschiedener Spuren von ideologisch-politisch motiviertem Vandalismus. Darin liegt wohl auch begründet, dass die zuständige Magistratsbehörde der Studenteninitiative von der sog. „Plattform Geschichtspolitik“ auf deren Ansuchen um Erlaubnis für eine eigenmächtige „Umgestaltung“ des Denkmals einen negativen Bescheid erteilt hat – d. h. erteilen musste.

Weniger die als „landschaftsarchitektonische“ Kunstaktion ausgegebene, vorübergehende Beeinträchtigung der Integrität des Denkmals durch jene kleine Gruppe selbsternannter „Antifaschisten“ ist uns Anlass zur Sorge als vielmehr Ihre eigene, in diversen Medien kolportierte Stellungnahme zu diesem Vorgehen: Sie, sehr geehrter Herr Stadtrat, haben dabei öffentlich Ihre Sympathie für diese selbst nach dem Dafürhalten der Protagonisten rechtswidrige Aktion bekundet, sich für deren Verlängerung ausgesprochen und außerdem einer künftigen Veränderung des Denkmals im Sinne der von der Gruppe geforderten „Umgestaltung“ bzw. „Kontextualisierung“ das Wort geredet.

Der argumentative Kern der Äußerungen zum Denkmal-Streit, der Ihrer Stellungnahme und dem „bekenner_innenschreiben“ der Aktionsgruppe entnommen werden kann, ist die Forderung nach einem breiten vergangenheitskritischen „Diskurs“, den es über das Denkmal, dessen Gegenstand und historische Gestalt zu führen gelte. Dazu sei Folgendes bemerkt:

Derzeit wird kampagnisiert, nicht diskutiert.

Eine Diskussion über Josef Weinheber und über das ihm gewidmete, von der Weinheber-Gesellschaft errichtete Denkmal auf dem Schillerplatz wäre selbstverständlich nichts, wogegen die Josef Weinheber-Gesellschaft etwas einzuwenden hätte, auch dann nicht, wenn darunter wie im vorliegenden Fall doch in allererster Linie, wenn nicht gar ausschließlich die Auseinandersetzung mit den politischen Aspekten von Leben, Werk und Wirkung Josef Weinhebers verstanden werden sollte. Die Forderung nach „Diskurs“, wie sie im vorliegenden Zusammenhang erhoben wird, wird aber den Grundanforderungen, die an eine sinnvolle Debatte zu stellen wären, keinesfalls gerecht. Eine Diskussion, wie wir sie verstehen, setzt zumindest zweierlei voraus: die Bereitschaft zum Dialog, gerade und besonders auch in der Zuwendung zu anderen Auffassungen und der Einbindung Andersdenkender, sowie ein Mindestmaß an Objektivität und Differenzierungswillen im Umgang mit den historischen Tatsachen rund um den Gegenstand. Die Polemik, von der die „Kunstaktion“ auf dem Schillerplatz begleitet wurde, leistet dies nicht und zeigt auch keinerlei Ambition, in eine solche, echte Diskussion einzutreten.

Dass sich Weinheber mit den Nationalsozialisten eingelassen hat, ist bekannt, dass er ein großer Dichter war, bereits vergessen.

Vielmehr suggeriert sie, dass die Debatte um die politischen Problemaspekte im Zusammenhang mit Josef Weinhebers Biographie noch gar nicht begonnen habe und man daher dringend nötige, mutige Pionierarbeit leiste. Das ist hingegen völlig falsch. Denn in den letzten Jahrzehnten wurde zu diesem Thema, namentlich zu der Frage der Involvierung Weinhebers in NS-Bewegung und NS-Herrschaft, ausführlich geforscht und publiziert (zuletzt etwa wurden 2009 durch die Weinheber-Gesellschaft selbst auch die Akten der – keineswegs homogenen, alles andere als mustergültigen – NSDAP-Mitgliedschaft Weinhebers aus dem Österreichischen Staatsarchiv aufgearbeitet und ediert). Es wurde darüber auch in breiterer medialer Vermittlung, in Tageszeitungen, Magazinen und im Rundfunk, intensiv berichtet und diskutiert. Im Gegenteil würde ein Blick in neuere Lexika, Handbücher und Literaturgeschichten zeigen, dass Weinheber kaum noch anders als unter diesem Vorzeichen und diesem Interesse gemäß Behandlung erfährt, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er der gewöhnlichen Presse seit langem nur noch unter diesem Aspekt eine Schlagzeile wert ist. Die Diskussion über Josef Weinheber hätte also, wollte sie die Öffentlichkeit über den mit dem Denkmal gewürdigten Autor aufklären, eigentlich zunächst bei dem Dichter und Künstler anzusetzen, der als solcher inzwischen ein Unbekannter geworden ist, während doch, anders als die Polemik der letzten Tage wieder einmal unterstellt, der „Nazi“ Weinheber schon jedermann ein Begriff ist: Bei einem Dichter also, von dessen in der Tat in vielen Bereichen denkwürdigem Werk und von dessen wirklicher Popularität („Wien wörtlich“) die Stadt und das Land lange und gerne profitiert haben.

Das „Nazi-Dichter“-Verdikt dient der Verunglimpfung, nicht der Aufklärung.

Den Betreiber der „Umgestaltung“ des Denkmals am Schillerplatz ist daher weiters vorzuwerfen, dass sie Weinheber ohne Bedenken auf den „NS-Dichter“ (weniger höflich: den „Nazi-Dichter“) reduzieren. Die von ihnen und von ihren Sympathisanten getätigten öffentlichen Äußerungen stilisieren Weinheber zu einem der Hauptprotagonisten der NS-Kulturpolitik vor wie nach dem „Anschluss“. Sie führen ihn abwechselnd als opportunistischen Hauptprofiteur, der seinen außerordentlichen Erfolg weitgehend dem Protektorat der Nationalsozialisten verdanke, und als „Supernazi“ vor, als strammen Parteisoldaten, der sich der „Bewegung“ auf Gedeih und Verderb verschrieben und zu dessen „ostmärkischer“ Speerspitze in der Literatur erhoben habe (desgleichen sich auch die wildesten Erzeugnisse einer gleichgeschalteten Literaturkritik unter NS-Herrschaft nicht zu behaupten unterstanden hätten). Damit werden sie – die es vermutlich auch wissen – einer so komplexen und vielschichtigen Erscheinung der österreichischen Literaturgeschichte, wie es Josef Weinheber ist, nicht einmal annähernd gerecht. Was sie an „Fakten“ andeuten, um dieses Verdikt zu untermauern, erweist sich bei näherer Kenntnis als verleumdend, verfälschend, verzerrend oder jedenfalls grob vereinfachend, nicht selten als schlichtweg unzutreffend.

Das Weinheber-Denkmal aus geschichtspolitischen Machtspielen heraushalten!

Es kann ihnen also nur dazu dienen, sich selbst und ihre gegenwärtigen politischen Anliegen in Szene zu setzen. Sie führen – übrigens erklärtermaßen – auf Kosten des Weinheber-Denkmals einen „Stellvertreterkrieg“ um Größeres. Indem es ihnen offensichtlich bei dem verlangten „Diskurs“ einzig um die Durchsetzung eines ganz bestimmten, von vornherein feststehenden „Weinheber-Bildes“ geht, setzen sie die Instrumentalisierung des Dichters zu fremden Zwecken fort, die dieser (wenngleich, wie er selbst wiederholt eingestand, nicht ohne eigene Schuld) schon zu Lebzeiten erfahren musste. Die Kulturpolitik und die Medienöffentlichkeit Wiens stellen sich kein gutes Zeugnis aus, wenn sie sich zu Erfüllungsgehilfen solcher Versuche machen. Einen „Diskurs“ auf dieser Ebene kann die Josef Weinheber-Gesellschaft jedenfalls begreiflicherweise nicht gutheißen, geschweige denn unterstützen.

Das Weinheber-Denkmal ist kein Monument unbewältigter Vergangenheit.

Die Kritiker des Wiener Weinheber-Denkmals suggerieren ferner, dass das Monument am Schillerplatz selbst ein Zeugnis bzw. Relikt höchst fragwürdiger Machenschaften sei. Sie vermitteln den Eindruck, das Denkmal sei in einer Atmosphäre und aus einer Gesinnung heraus errichtet worden, in der es entweder selbst als das Dokument von „Ewiggestrigem“ die Interessen reaktionärer Gruppen in der österreichischen Gesellschaft repräsentieren sollte oder in der zumindest das Problematische an ihm von einer politisch unreifen Öffentlichkeit, welche vor der Auseinandersetzung mit der eigenen jüngeren Vergangenheit kategorisch zurückscheute, damals geflissentlich ignoriert worden sei. Auch das ist eine Verfälschung der Tatsachen. Die gedruckt vorliegenden Unterlagen zu der – übrigens unter einer SPÖ-Alleinregierung in Bund wie Stadt vollzogenen – Denkmalsenthüllung sprechen eine deutlich andere Sprache. (Wir verweisen insbesondere auf die Ansprache des damaligen Präsidenten der Josef Weinheber-Gesellschaft, Dr. Karl Röhm, aus Anlass der feierlichen Enthüllung.) Selbstverständlich gab es dabei zeitbedingte Grenzen, haben sich die Perspektiven seit damals verändert und verschoben, hat sich das Bedürfnis nach kritischer Distanz seit damals verstärkt. Aber es soll nicht so getan werden, als habe dieses damals gänzlich gefehlt und habe sich nicht eine redliche, auch heute noch respektable Absicht mit der Denkmalserrichtung verbunden. Zudem war die Diskussion über Weinhebers Anteil an der NS-Vergangenheit Österreichs bzw. Deutschlands damals natürlich schon längst im Gange und nicht einfach mehr auszublenden (sie setzte im übrigen schon in den ersten Jahren nach 1945 ein und pflanzte sich in vielerlei, mehr oder minder ernst zu nehmende Richtungen fort). Zum Monument der vielbeschworenen Halsstarrigkeit und Verbohrtheit des Österreichers im Umgang mit den „dunklen Seiten“ seiner Geschichte dürfte das Weinheber-Denkmal also schwerlich taugen.

„Diskurs“ setzt Dialog, „Umgestaltung“ Verständnis voraus.

Wenn die Arbeit der studentischen Projektgruppe, die eine „temporäre Umgestaltung“ des Weinheber-Denkmals vorbereiten sollte bzw. zu der jetzt veranstalteten Aktion „Weinheber ausgehoben“ geführt hat, den erstrebten „Diskurs“ nicht bloß als Phrase oder Vorwand im Programm führte, sondern ihn tatsächlich als Dialog verstehen möchte, so hätte wohl schon einer der allerersten Schritte darin bestehen müssen, den Dialog mit den Errichtern des zum Stein des Anstoßes erhobenen Denkmals zu suchen. Mit uns, der Josef Weinheber-Gesellschaft, haben allerdings bis dato weder die „geschichtspolitische“ Aktionsgruppe noch die kulturpolitischen Entscheidungsträger der Stadt Wien einen Dialog aufgenommen. Es ist für uns indes nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dem Denkmal eine den veränderten Gesichtspunkten angepasste Adaption angedeihen zu lassen. Die Voraussetzung für eine kommentierende Ergänzung oder auch eine (entsprechend behutsam und umsichtig vorzunehmende) gestalterische Modifikation stellt für uns aber die Herstellung eines Konsenses über die oben angedeutete versachlichte Basis jeder weiteren Planung und die damit verbundene Rückkehr zu Besonnenheit dar. Unmöglich erschiene uns dies, solange polemisches Kalkül, plakative Selbstdarstellung des an der Veränderung interessierten politischen Milieus oder Selbstzweck der sog. „Umgestaltung“ im Vordergrund stünden. – Wir aber wurden vor vollendete Tatsachen gestellt und sollen es offenbar auch künftig werden.

Unter diesen Auspizien erlauben wir uns abschließend, Ihnen Folgendes zu Kenntnis zu bringen: Für den Fall, dass sich die Stadt Wien in Gestalt ihrer politisch verantwortlichen Vertreter nicht in der Lage sehen oder nicht willens zeigen sollte, die von ihr im Jahr 1975 eingegangene, oben skizzierte Obhutspflicht weiterhin wahrzunehmen, und für den Fall, dass sie beabsichtigen sollte, gegen den Willen und ohne maßgebliche Einbeziehung der Errichter in den Entscheidungs- und Planungsprozess in die gestalterische Integrität des Weinheber-Denkmals einzugreifen, behielte sich die Josef Weinheber-Gesellschaft als letzte Konsequenz vor, das in ihrem Besitz befindliche Denkmal der städtischen Obhut, welche damit ja nicht mehr gegeben wäre, wieder zu entziehen und von dem öffentlichen Platz, an dem es bisher stand, zu entfernen.

Dieses Schreiben ergeht als Offener Brief auch an die Kultursprecher sämtlicher im Wiener Gemeinderat vertreten Parteien, an die Bezirksvorsteherin der Inneren Stadt sowie an ausgewählte Tageszeitungen und Presseagenturen.

Mit freundlichen Grüßen

Christian Weinheber-Janota e. h.
Präsident der Josef Weinheber-Gesellschaft
Erbe nach Josef Weinheber

Mag. Dr. phil. Christoph Fackelmann e. h.
Vizepräsident der Josef-Weinheber-Gesellschaft
Herausgeber der „Literaturwissenschaftlichen Jahresgabe“

HR Mag. Dr. phil. Karl Josef Trauner e. h.
Gymnasialdirektor i. R.
Ehem. Präsident, Ehrenmitglied der Josef Weinheber-Gesellschaft
Vizepräsident zur Zeit der Denkmalserrichtung

Mag. phil. Dr. iur. Helmut Noll e. h.
Richter i. R.
Mitglied der Josef Weinheber-Gesellschaft
Juristische Beratung