Wien wörtlich

Veranstaltungshinweis:

Sonntag, 18. März 2012, 11 Uhr, Café Restaurant Schottenring, 1010 Wien

Wien wörtlich

Matinèe aus Anlaß des 120. Geburtstags von Josef Weinheber (9. 3. 1892 – 8. 4. 1945).

Mitwirkende: Johannes Föttinger, Tenor – Markus Vorzellner, Klavier – Prof. Christian Persy, Moderation

Kostenbeitrag inkl. Menü: 19,00 Euro

Die Veranstaltung erinnert an Weinhebers „wienerischsten“ Gedichtband, „Wien wörtlich“ (1935), in dem alles enthalten ist, was Wien und seine Bevölkerung ausmacht: Von elegischen Naturschilderungen über humoristische Genreszenen bis zu Satiren auf uns Wiener kann man die Wesensart von Jung und Alt aufs beste nacherleben. Dazu erklingen jeweils passende Lieder aus den Kremser Alben.

Anmeldungen: Tel. 01 369 69 96 und 0676/47 14 402

Traditionsbruch

Dienstag, 20. März 2012

„Verlassen war ich, jetzt bin ich verkannt“. Deutsche Dichter als Opfer des Traditionsbruches im 20. Jahrhundert

Vortrag von Dr. Christoph Fackelmann

Neuer Klub Salzburg, Restaurant „Urbankeller“, Schallmosser Hauptsraße 50, 5020 Salzburg

Beginn: 19 Uhr (freier Eintritt)

Aus Anlaß des neu erschienenen Buches:

Karl J. Trauner / Christoph Fackelmann: Vergessene Dichter – verschwundenes Wort. Porträts und Skizzen zur deutschen Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Wien 2011 (= Eckartschrift 205).

Es ist wahr: Das dichterische Wort unterliegt dem Wirrsal der Zeitläufte.  Moden des literarischen Geschmacks, weltanschaulicher Werte- und politischer  Gesinnungswandel: davon ist abhängig, welches Schicksal die Zeugnisse des  dichterischen Schaffens vergangener Epochen bei der Nachwelt erfahren. Die  deutsche Literaturgeschichte des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts kennt  besonders schwerwiegende Konflikte und Veränderungen in der Schaffenskultur,  sodass die Gültigkeit dessen, was die Großelterngeneration gelesen, geschätzt  und gepriesen hatte, bereits von der Elterngeneration gründlich in Zweifel  gezogen wurde, und die dereinst verehrten Werke und ihre Verfasser von den  Enkeln schon wieder weitgehend vergessen erscheinen.

Womit hat dies zu tun? Mit den politischen  Katastrophen der dreißiger und vierziger Jahre, mit einem gewaltigen  Traditionsbruch nach der Jahrhundertmitte, mit dem um sich greifenden Verlust an  eigener Geschichte? Und ist das Vergessenwerden ein gerechter Vorgang, der nur  solche Erscheinungen trifft, die es „verdient“ haben, oder gar ein gleichsam  naturnotwendiger Prozess, der das Schwache, Schädliche aussiebt?

Das Buch geht diesen Fragen anhand ausgewählter Fälle nach: Von einer  allgemeinen Problemskizze eingeleitet, zeichnet es die Porträts dreier Dichter,  deren Ruhm verklungen ist bzw. deren Gestalt ganz entscheidenden Veränderungen  in der Wahrnehmung unterzogen wurde: Hermann Löns (1866–1914), der große  norddeutsche Naturschilderer und einer der Lieblingssänger der Jugendbewegung,  Franz Karl Ginzkey (1871–1963), der romantisch-besinnliche Dichter des alten  Österreich und Schöpfer vielgeliebter Balladen und Kinderbücher, sowie Franz  Spunda (1890–1963), der „Erfinder“ des Magischen Romans und Verfasser  mitreißender mythologischer und historischer Erzählungen. Ein abschließendes  Kapitel stellt das erste Hauptwerk des Lyrikers Josef Weinheber (1892–1945) vor: „Adel und Untergang“ (1934), ein Buch von beeindruckender Kraft und Dichte, von  atemberaubender künstlerischer Vielfalt, das den großen, jedoch heute  vergessenen oder in Verdacht geratenen Erfolg des Dichters begründete.

Was spricht dafür, diesen Dichtern trotz allen Zweifeln auch heute noch, ja  gerade heute wieder eine Chance zu geben? Die Sammlung will zu literarischen  Entdeckungsreisen einladen und zu Verantwortung gegenüber dem Kunstgeist in  deutscher Sprache aufrufen.

Friedrich Jenaczek 1918 – 2011

Friedrich Jenaczek, der große Weinheber-Forscher, ist tot.

Wien – Kirchstetten, am 2. Mai 2011

 Am Ostermontag, den 25. April 2011, verstarb Dr. Friedrich Jenaczek in seiner Heimatstadt München. Er stand im 93. Lebensjahr. Die Beisetzung fand am Freitag, den 29. April, auf dem Münchener Westfriedhof statt. Die Josef Weinheber-Gesellschaft trauert um ihr Ehrenmitglied. Mit Dr. Friedrich Jenaczek ging der bedeutendste Weinheber-Forscher des 20. Jahrhunderts von uns. Ihm verdankt die Auseinandersetzung mit Werk, Leben und Wirkung des Dichters so viel, daß es sich mit wenigen Worten nicht ausdrücken läßt.

Am 18. Juli 1918 in Mähren geboren, studierte Friedrich Jenaczek in Brünn, Prag und München Germanistik, Slawistik, Geschichte und Philosophie. Nach dem Krieg und einer fast fünf Jahre andauernden Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion lehrte er, heimatvertrieben, am München-Kolleg als Gymnasialprofessor. In den fünfziger Jahren begann seine publizistische Beschäftigung mit Josef Weinheber. Es entstanden in rascher Folge bahnbrechende, bis heute maßgebliche Studien, Entwicklungsskizzen und Einzelinterpretationen. Ihnen ist es insbesondere zu verdanken, daß die ästhetischen Grundlagen der Weinheberschen Lyrik geklärt werden konnten. In Abkehr von den älteren, diesbezüglich weitgehend im Dunkel tappenden Bemühungen und in kritischer Revision der damals tonangebenden Weinheber-Arbeiten Josef Nadlers erhellten Jenaczeks Beiträge erstmals das schwierige Gebäude der Weinheberschen Poetik, das “Sprachkunst”- Bewußtsein und dessen konkreten Einfluß auf die Textgestaltung der seit den frühen zwanziger Jahren entstehenden neuartigen Gedichte und Zyklen. In der langwierigen Rechtssache des Weinheber- Nachlasses fungierte Friedrich Jenaczek als verdienstvoller Gutachter. Er erlangte Einsicht in die umfangreiche Hinterlassenschaft und durchforschte die erhaltene Arbeitsbibliothek des Dichters. Eine lange Freundschaft verband ihn mit Gerda Stadler-Janota, der Mutter von Weinhebers einzigem Sohn und Erben. Der Otto Müller-Verlag betraute den inzwischen führenden Weinheber- Kenner mit der Neuausgabe des Weinheberschen Gesamtwerks. Jenaczek stellte in den seit 1970 erscheinenden Bänden seiner Studienausgabe nach und nach die gesamte Kenntnis der Werküberlieferung und Textgeschichte auf ein neues Fundament. Die zahlreichen, oft genug  folgenschweren Fehler und Irrtümer der von Nadler betreuten Erstausgabe und Biographie konnten schließlich unter Einbeziehung des gesamten nachgelassenen Materials beseitigt werden. Vielerlei Entdeckungen halfen, ein ganz neues Bild von Josef Weinheber entstehen zu lassen und eine Vielzahl an neuen Gesichtspunkten und Erkenntnisperspektiven für das Verständnis aufzutun. Die Kommentare und Nachworte der Neuedition bilden bis heute eine einzigartige Fundgrube. 1996 schloß Jenaczek mit dem dritten Band, dem insgesamt sechsten Teil, seine Edition ab. Im selben Jahr gestaltete er die große Weinheber-Gedenkausstellung in der Österreichischen Nationalbiliothek in Wien.

Eng verbunden mit seinem lebenslangen Interesse für Josef Weinheber war Friedrich Jenaczeks Eintreten für Karl Kraus. Dem österreichischen Satiriker und Dichter, der entscheidend zu Weinhebers künstlerischer Selbstfindung beigetragen hatte, widmete Jenaczek seit den frühen sechziger Jahren zahlreiche eingehende Studien. Im Jahre 1965 erschienen seine “Zeittafeln zur Fackel”, eine Pionierarbeit systematischer Kraus-Forschung. Jenaczek war auch hier vor allem bemüht, die geistigen und künstlerischen Fundamente für das Schaffen und Wirken freizulegen und sie von den lastenden Vorurteilen und Verkürzungen abzugrenzen. Mit seinen oftmals durchaus polemisch angelegten und mit großem kritischen Ernst und geistiger Souveränität vorgetragenen Plädoyers für Karl Kraus und Josef Weinheber – beide waren für ihn nicht zu trennen – trat er für das gegen den “Untergang der Welt durch schwarze Magie” gerichtete Sprachethos altösterreichischer Prägung ein – in einer vor allem in Deutschland in den sechziger und siebziger Jahren keineswegs selbstverständlichen Weise. In enger Verbindung mit eingefleischten “Krausianern” wie Edwin Hartl oder Werner Kraft erwies er sich hier als eine immens hellhörige zeitkritische Kraft, deren diesbezügliche Bedeutung es erst noch zu entdecken gilt, zumal sie persönlich nie in den Vordergrund drängte. Zahlreiche weitere philologische und historische Arbeiten begleiteten diese Großprojekte, darunter eine Edition der “Reden und Schriften” des Arbeiterführers Ferdinand Lasalle (1970) sowie eine Reihe von Grundsatzbeiträgen auf dem Gebiet der Sprachtheorie und der Formästhetik.

Was Friedrich Jenaczek für das Werk und das Andenken Josef Weinhebers getan hat, bleibt trotz allen modischen Anfechtungen unvergessen. Der Verlust könnte größer nicht sein, doch können wir immerhin ermessen, welch erfülltes und erfüllendes Gelehrtenleben hier, fernab aller äußeren Ehren und Würden, zu Ende ging. Unser Gedenken gilt einem Menschen, dessen aufrichtige Liebenswürdigkeit und nimmermüder Einsatz ebenso zu berühren vermochten, wie sein außerordentlich klarer Geist, die tiefe Gedanklichkeit seiner Worte und sein einmaliger Blick für die Wunder der lyrischen Sprache die Herzen derer, die für die Kunst leben, zu gewinnen wußten.

Christoph Fackelmann