Lieblingsgedicht Nummer 9 – „Sinfonia domestica“

SINFONIA DOMESTICA

Es ist nicht leicht (wir treiben
zu sehr im Gewohnten hin),
dir die Umwelt hier zu beschreiben,
in der ich lebe und bin.
Ein Rest bleibt ungesagt.

Du denkst, die Heimat zu kennen.
Ich glaub, ich kenne sie auch.
Und kannst doch die Dinge nur nennen:
hier Busch, hier Baum, hier Strauch –
Aber: Wird es zum Bild?

Da siehst du die Hügelwellen
sich werfen im gelben August.
Die Himmel wechseln mit schnellen
Bildern der Trauer und Lust ­–
Groß sind die Himmel bei uns.

Immerzu geben die Winde
kleine Unruh dem Land.
Daß uns die Müh nicht schwinde,
reißt uns der Sonnenbrand
handbreit die Erde auf.

Dunkle Stellen von Wäldern,
Richtbäumen und Alleen
kannst du zwischen den Feldern
edler aufgeteilt sehn,
als das ein Künstler ersinnt.

Vom großen Gebirg im Süden
ist immer die Ahnung nah.
Die Föhne im März ermüden,
die Sternnächte schrecken dich da
seltsam stark und tief.

Zwar sind wir nicht einsam. Es betten
sich ringsum Dörfer genug.
Ich sehe allein von Kirchstetten
fünf Türme. Soeben schlug
es von dem in Ollersbach elf.

Am Abend kommen die Rehe
äsen bis an den Zaun.
Es schreit der Fasan und die Krähe
und ist ein ewig Geraun
und Gesumm und Gesang in der Luft.

Im Spätherbst freilich haben
wir Nebel und trostlosen Wind.
Das Land liegt offen. Begraben,
wie es die Toten sind,
sind wir im Jännerschnee.

Solche Wehen und Wächten
hast du nicht gesehn.
Im finstern Hohlweg möchten
keine Riesen bestehn.
Und der Weg ins Dorf ist lang . .

*

Da sitzen wir in der Halle,
und wochenlang kommt kein Gast.
Mit Brutzeln und lautem Knalle
bersten Scheiter und Knast
im mächtigen Kachelofen.

Im Sommer waren wir grade
zum Schlafen im sichern Haus.
Jetzt spüren wir erst die Gnade
soliden Ziegelbaus,
und der Hausrat wird uns lebendig.

Zögernd, mit Zweifelsmute,
(finster liegt draußen das Land)
nehm ich die alte, gute
Guitarre herab von der Wand:
„Wenn alle Brünnlein fließen . .“

Jetzt sind uns die derben Stühle
um den wuchtigen Tisch schon recht;
die braunen Balken der Diele,
das Schmiedeeisengeflecht
der Ampeln und schwarzen Leuchter;

die vielen hundert Dinge,
Bild und Model und Krug,
die ich in Zufalls Schwinge
mählich zusammentrug
wie ein Hamster die Körnlein.

Glaub mir, ein gut Teil Lebens
hangt an jedem Stück.
Manches wohl flüstert: „vergebens“;
aber es ist ja Glück
immer etwas Gewesnes.

Ich denk es, wie wir bei wilden
Stürmen, kein Wasser, kein Licht,
im Hause Einzug hielten.
Zwei Stühle, mehr gab es nicht,
so hockten wir dumm in der Küche.

Heut ist auf Böden und Zimmern
alles an seinem Ort.
im Keller unten schimmern
die Flaschen auf ihrem Bord,
und die Fässer bauchen sich blitzblank.

Wir haben Kartoffel gegraben,
wir haben Obstmost gepreßt.
Was uns die Sommer gaben,
ist wie ein Geschenk und ein Fest
in diesen langen Wintern.

Wir brauchen hier kein Theater.
Oft schaun wir stundenlang zu,
wie unser falber Kater
mit anmutvollem Getu
dem Hund nach den Lichtern tatzelt.

Es muß uns auch nichts ängsten.
Die Uhr tickt, fern ist die Welt.
Da lese ich an den längsten
Abenden, Mondlicht fällt,
aus meinen Lieblingsdichtern.

Laut lese ich, das Glas roten
Göttweigers nah bei der Hand:
Ein Lied des Wandsbeker Boten –,
Du bist Orplid, mein Land –,
der Droste erhabnes „Im Grase“.

Im Grase . . Es will schon tauen?
Es ist schon Februar.
Wir sollten zum Dorngraben schauen.
Dort blühten im vorigen Jahr
um diese Zeit schon Primeln . .

*

Du glaubst nicht, was so ein Garten
alles an Wartung braucht.
Noch immer ist Frost zu erwarten.
Aber der Dunghaufen raucht,
und der Schnee ist weg.

Jetzt darfst du ja nichts versäumen.
Gerätst du erst in den April
mit dem Großzusammenräumen,
tut jeder Baum, was er will,
und du erntest Ärger statt Obst.

Und hast du mit Schneiden, Putzen
und Pfropfen das deine getan,
dann fängt erst, jenseits vom Nutzen,
die richtige Arbeit an,
die du fürs Schöne tust.

Fürs Schöne sag ich? Fürs Gute!
Enkeln, unbekannt fern,
pflanz ich die junge Rute
des Baumes und tu es gern:
So stirbt nicht alles von mir.

Wir haben acht Weiden, sieben
Pappeln im Frühjahr zuletzt
und vierzig Lärchen (drei blieben
braun) und vier Eiben gesetzt –
meine Frau und ich.

Die kommen gemach, die Bäume.
So will ich zu jeder Frist,
auf daß ich mein Teil nicht versäume,
tun, was notwendig ist.
Auch „Ewigkeit“ ist nur ein Wort.

Der Wald steht wie ein Wächter.
Mein Haus, mein Grund, meine Art.
Für kommende Geschlechter
sei’s also aufbewahrt –
Ein Rest blieb ungesagt . .

(Entstehungsjahr: 1939; erste Buchveröffentlichung: „Kammermusik“, 1939)

Ein Kommentar zu “Lieblingsgedicht Nummer 9 – „Sinfonia domestica“

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