Lieblingsgedicht Nummer 4 – „Die innere Gestalt“

DIE INNERE GESTALT

Mich erschreckt das Bild,
das der Spiegel malt:
Ein Verächter wild,
ein Zerbrochner bald;
denn ich weiß es gut,
daß ich Flamme bin:
Eine steile Glut
und der Gott darin –

Ja, der Gott darin,
o wie oft entweiht!
Doch von Anbeginn
vor der Zeit gefeit,
und ein dauernd Licht
noch im Lastermal,
das die Frucht aufbricht
meiner Sünd und Qual.

All was sterblich ist,
weht um Aug und Mund,
doch die Seele mißt
ihren innern Grund,
sieht sich furchtlos stehn
in des Gotts Gewalt,
einen Jüngling schön,
schmale Huldgestalt.

O du ferne Zeit
mit dem holden Licht,
die voll süßem Leid
mir herüberspricht:
Wie das Leid mich hält,
bist du wieder mein,
und die irre Welt
will gebändigt sein.

Nach dem Ebenbild,
nach der Traumgestalt.
Ein Verächter wild,
ein Zerbrochner bald
singt den Kanon rein,
lebt zurück zum Lied.
Alles sonst ist Schein,
was an ihm geschieht.

(Entstehungsjahr: 1934;
erste Buchveröffentlichung: „Adel und Untergang“)

au-1934-a

Lieblingsgedicht Nummer 3 – „Der Phäake“

DER PHÄAKE

Ich hab sonst nix, drum hab ich gern
ein gutes Papperl, liebe Herrn:
Zum Gabelfrühstück gönn ich mir
ein Tellerfleisch, ein Krügerl Bier,
schieb an und ab ein Gollasch ein,
(kann freilich auch ein Bruckfleisch sein),
ein saftiges Beinfleisch, nicht zu fett,
sonst hat man zu Mittag sein Gfrett.
Dann mach ich – es is eh nicht lang
mehr auf Mittag – mein’ Gesundheitsgang,
geh übern Grabn, den Kohlmarkt aus
ins Michaeler Bierwirtshaus.
Ein Hühnersupperl, tadellos,
ein Beefsteak in Madeirasoß,
ein Schweinspörkelt, ein Rehragout,
Omletts mit Champignon dazu,
hernach ein bisserl Kipfelkoch
und allenfalls ein Torterl noch,
zwei Seidel Göß – zum Trinken mag
ich nicht viel nehmen zu Mittag –
ein Flascherl Gumpolds, nicht zu kalt,
und drei, vier Glaserl Wermuth halt.
Damit ichs recht verdauen kann,
zünd ich mir mein Trabukerl an
und lehn mich z’rück und schau in d’ Höh
bevor ich auf mein’ Schwarzen geh.
Wann ich dann heimkomm, will ich Ruh,
weil ich ein Randerl schlafen tu
damit ich mich, von zwei bis vier,
die Decken über, rekreier’.
Zur Jausen geh ich in die Stadt
und schau, wer schöne Stelzen hat,
ein kaltes Ganserl, jung und frisch,
ein Alzerl Käs, ein Stückl Fisch,
weil ich so früh am Nachmittag
nicht schon was Warmes essen mag.
Am Abend, muß ich Ihnen sagn,
eß ich gern leicht, wegn meinen Magn,
Hirn in Aspik, Kalbsfrikassee,
ein kleines Züngerl mit Püree,
Faschierts und hin und wieder wohl
zum Selchfleisch Kraut, zum Rumpsteak Kohl,
erst später dann, beim Wein zur Not,
ein nett garniertes Butterbrot.
Glauben S’ nicht, ich könnt ein Fresser wern,
ich hab sonst nix, drum leb ich gern,
kein Haus, kein Auto, nicht einmal
ein G’wehr im Überrumplungsfall.
Wenn nicht das bissel Essen wär – –

(Stimme des Volkes:)
Segn S’, deswegn ham S’ nix, liaber Herr!

(Entstehungsjahr: 1935; erste Buchveröffentlichung: „Wien wörtlich“, 1935)

ww-1935-b

Lieblingsgedicht Nummer 2 – „Dem kommenden Menschen“

DEM KOMMENDEN MENSCHEN

Darf ich reden von dem, der kommt? Aber wie denn
nenn ich seinen verborgenen Namen? Ich, ein
Mensch unter Menschen, anfällig, immer
hin am Abgrund, einsam und wehrlos
vor dem Wirrsal der Welt, das schwarz in mich einbricht
wie in verlassnes Haus ein Rudel von Räubern?
Darf denn reden, wer strauchelt, reden
wer noch sucht? Und wer irrt, an die Stelle
Gottes treten und sagen: Dies will ich?

Ja, mit dem Recht des Gefangenen, der nach
Freiheit weint, beschwör ich die Freiheit,
mit dem Ruf der Sehnsucht den Traum, und
mit des Gemarterten Klage die ferne
Ordnung der Güte.
Mit dem Rechte dessen, der leidet – 0, dem
einen Recht, das der Nacht widersteht und an andern
Ufern wohnt, an den Wassern der Reinheit –
mit des Dulders göttlichem Anspruch verlang ich
nach dem Herbste der Qual, der lebendigen
Frucht und Kelter der Bitternis, Amen.

Sollen wir hungern? Und immer
sagt man den Kommenden: Hungert?
Sollen wir frieren und sein ohne Stube? Und wieder
wankt uns der Boden, birst das Dach überm Haupte,
und die Heimat, traumhaft geschaut, sie ist nicht,
nicht in den hundert Namen, den rühmlich gereichten?
Sollen wir sterben, immer
wieder hingehn und sterben? Und keiner
löscht von unsern Malen die schreckliche Inschrift: „Vergeblich?“

Was ich leide, leiden wir alle. Und darum
red ich: Welcher die Sprache
hat, dem geziemt es, zu reden für alle.
Frevle ich, so freveln wir alle. Gelingt mir
aber das Wort, so lös und erlös ich
aus dem Verlust. Kein Kranz ist mir nötig.

Tief und in jede
Armut sind wir gefallen; verwiesen
auf das Letzte in uns: Zu stehen,
uns zu besinnen, zu behaupten den Rest: die
arme Würde des Menschen.
Nicht Vergehens Muß und nicht Werdens
Wucher ist unsre Not: Die Gewalten sind gütig
jeglicher Ehrfurcht.

Wir jedoch,
wir übersprangen die Ordnung, setzten
neu ein Standbild, unsres der Hoffart, teilten
in Besiegte und Sieger. Aber
er, der da kommt, wird sich beugen.

Gräßlicher „Herr der Erde“, wer bist du?
Seht, er redet von Gott und zertritt seinen Nächsten
wie er die Blume zertritt, und vermag nichts
gegen die eigne Erfindung, gegen
alle den Fluch des
Abfalls, der ihn berauscht und vernichtet.
Hilflos seine Vermessenheit, hilflos
seine Flucht vor dem Schrecken, schrecklich
aber sein letzter Ratschluß : Gewalt.

Red’ er nicht von Gott oder Göttern. Beide
sind nicht außerhalb unser. Ach, wen erhöhen
denn noch Tempel, da wo die Kirchen
nicht zu retten vermögen?
Vor seine Gier gespannt, mit Pomp und Gesängen
nährt er Gott oder Götter. Über
sich hinaus befestigt er sie, denn mehr und
anderweit als ihre Schöpfung
nimmt er sein Eignes für göttlich.

Mensch der Mitte, dich sing ich!
Zwischen Elend und Prunk, Empörung und Dulden
wirst du zurückgehn in dich, ein Ebenbild Gottes.
Ruhend in dir,
werden die Dinge beruhn und werden dich lieben,
und beglückt wirst du sein in der
Kraft des Befreiten, und dienen.

Komm uns, Kommender! Mit dem Recht des Gefangnen,
der nach Freiheit weint, beschwör ich die Freiheit,
mit dem Ruf der Sehnsucht den Traum und
mit des Gemarterten Klag’ die ferne
Ordnung der Güte.
Mit dem Rechte dessen, der leidet – oh, dem
einen Recht, das der Macht widersteht und an andern
Ufern wohnt, an den Wassern der Reinheit –
mit des Dulders göttlichem Anspruch verlang ich
nach dem Ende der Qual, der lebendigen
Frucht und Kelter der Bitternis, Amen.

(Entstehungsjahr: 1935; erste Buchveröffentlichung: „­Späte Krone“, 1936)

sk-1936-aa