Zum Tod von Helmut Noll

Helmut Noll (1941-2019)

Am 27. Mai dieses Jahres verstarb der Wiener Jurist und Philologe Mag. Dr. Helmut Noll. Er war seit langem Mitglied der Josef Weinheber-Gesellschaft, zu der er durch seine Freundschaft zu dem Ehrenmitglied der Gesellschaft HR Dr. Karl Josef Trauner (1932–2015) gefunden hatte. Vor allem in den letzten zehn Jahren hatte Helmut Noll sich sehr stark in die Aktivitäten der Weinheber-Gesellschaft eingebracht. Er hatte sich sowohl als juristischer Berater in schwierigen Angelegenheiten als auch als Mitorganisator einiger der größten und erfolgreichsten Veranstaltungen bleibende Verdienste erworben. Seiner Initiative verdanken sich u. a. die Weinheber-Gastspiele seiner in Leipzig als Schauspielerin reüssierenden Tochter Verena Noll im Theater Spielraum 2011 und im Parkhotel Schönbrunn 2013 sowie die Weinheber-Matinée von Helma Gautier 2015. Im heurigen Jahr hätte Helmut Noll in den Vorstand der Weinheber-Gesellschaft eintreten sollen, wodurch endlich auch durch eine offizielle Funktion seine Rolle als Anreger, Mitarbeiter und stets hilfreicher Ratgeber Niederschlag gefunden hätte. Leider hat sich dieser schon lange gehegte Wunsch der derzeitigen Vereinsleitung nun nicht mehr erfüllt. Wir verlieren einen vorzüglichen Weinheber-Kenner und einen liebenswürdigen Freund und Weggefährten. Er läßt eine große Familie mit Ehefrau, Kindern und Enkelkindern zurück, denen unser tiefes Mitgefühl gilt.

Die „Wiener Sprachblätter“ veröffentlichen in ihrer Ausgabe von September 2019 einen Nachruf auf Helmut Noll, den wir mit freundlicher Zustimmung der Redaktion im Folgenden wiedergeben:

 

Sprachlust – Bildung – Glaube
Mag. Dr. Helmut Noll zum Gedächtnis

Die Fassungslosigkeit, die sich unser bemächtigt, wenn ein Mensch unserer engeren Umgebung, ein hochgeschätzter Freund, Weggefährte und Mitstreiter, völlig unerwartet aus dem Leben gerissen wird, ist nicht nur Ausdruck der Bestürzung, die dem Verlust innewohnt, und Widerschein der großen Vergänglichkeit, die uns alle selbst bedroht. Sie hat auch mit der Trauer zu tun, die beobachten muß, daß Lebensbahnen abbrechen und eine Leere zurückbleibt, die von unvollendeten Vorhaben, nicht verwirklichten Plänen, verblühten Hoffnungen und Wünschen zeugt. So ist es im Falle des Todes von Helmut Noll, der uns am 27. Mai dieses Jahres überraschte. Der Verein „Muttersprache“, die „Wiener Sprachblätter“ und jenes Österreich, dem Sprachkultur noch immer ein hohes Anliegen ist, verlieren einen treuen, klugen und kritischen Geist. Der Verfasser dieser Zeilen vermißt einen väterlichen Freund, dem er viel verdankt und manches schuldet.

Helmut Noll stand im 78. Lebensjahr. Er wurde am 30. Juli 1941 in Wien geboren und war der Sohn des bedeutenden österreichischen Altertumswissenschaftlers und Archäologen Rudolf Noll (1906–1990). Zunächst absolvierte er ein Studium der Rechtswissenschaften, promovierte und schlug den beruflichen Weg eines Richters ein. Am Ende seiner juristischen Laufbahn amtierte er in verantwortungsvoller Stellung als Vorsteher des Bezirksgerichts in Tulln. Aber zu seiner Persönlichkeit gehörte ganz entschieden, daß er in der Rechtspflege nicht Genüge fand, und so sehr er sie auch schätzte, so nahm ihn doch schon sehr früh die Begeisterung für die alten Sprachen gefangen. Den Prägungen des Vaterhauses folgend, erwarb er zusätzlich das Lehramt für Klassische Philologie, um sich auch als Pädagoge verdienstvoll zu betätigen. Von der geglückten Symbiose zwischen den beiden Aufgabenbereichen, denen Helmut Noll sich beruflich verschrieben hatte, kündet die Textsammlung „Römisches Recht“ (1992, 2. Auflage 2002), die er gemeinsam mit Theo Mayer-Maly in der Schulbuch-Reihe „Latein in unserer Welt“ herausgab. Auch als Lektor für Neutestamentliches Griechisch an der Katholisch-Theologischen Fakultät seiner Alma Mater, der Universität Wien, wirkte er mit feinem Verstand und kundiger Hand. In den letzten Jahren widmete er sich im Rahmen des Lektüreseminars „Bibelgriechisch“ für die Theologischen Kurse der Erzdiözese Wien der sprachlichen Vermittlung neutestamentarischer Texte, immer auch deren poetische Qualitäten vor Augen. Es war nämlich die literarische Kunst, die neben der Welt der Sprachen, vielmehr durch diese recht eigentlich erschlossen, ein weiteres geistiges Lebenselexier des Verstorbenen darstellte, wie selbstverständlich begleitet von bürgergesellschaftlichem Engagement. In geradezu unentbehrlicher Weise brachte er sich etwa in die Josef Weinheber-Gesellschaft ein. Und auch sein letzter größerer Beitrag zu den „Wiener Sprachblättern“ galt einem verehrten Dichter: Anton Wildgans (WSB 4/2018). Mit diesem teilte er das Ideal eines edlen, das heißt besonnenen und geschichtsbewußten Österreichertums.

Ein heute fast aus der Zeit gefallener bildungsbürgerlicher Humanismus im besten Sinne des Wortes hatte ihn von den ehrwürdigen Sprachen des Altertums und deren romanischen Abkömmlingen – die Lektüre italienischer Tageszeitungen gehörte zur regelmäßigen Übung des Geistes – zur gesteigerten Aufmerksamkeit für alle Angelegenheiten seiner deutschen Muttersprache geführt. Sie hatte ihn deren tiefere Wertschätzung gelehrt, ihn aber auch sensibel gemacht für die Probleme und Gefahren unserer im Grunde längst sprachvergessenen Gegenwart. Dem „Verein der Freunde der im Mittelalter von Österreich aus besiedelten Sprachinseln“ („Sprachinselverein Wien“) stand er ebenso mit Rat und Tat zur Seite wie dem Verein „Muttersprache“, einer Sprachpflegeplattform stärker gesellschaftspolitischen Zuschnitts. Diese bereicherte er als Mitglied des Vorstands, einige Jahre hindurch sogar als Stellvertreter des Obmanns durch seine verläßliche, geistreiche, aber niemals pedantische Mitarbeit. Er bemühte sich in einer schwierigen Phase der Vereinsgeschichte um die bitter notwendige ideelle Öffnung der in die Jahre gekommenen Institution und um eine der modernen Gesellschaft gegenüber aufgeschlossene Bereitschaft zur Selbsthinterfragung. Er zog neue Vortragende heran – von Luis Thomas Prader bis Dr. Tomas Kubelik –, gewann wichtige neue Mitarbeiter (wie den Diplomaten und Sprachuniversalisten Dr. Oswald Soukop, einen einstigen Schulkameraden) und wirkte an der Organisation von erfolgreichen Veranstaltungen mit. Mich selbst bewog er Ende 2010 als „Milieufremden“ zur Übernahme des Schriftleiteramts der „Wiener Sprachblätter“ und trug den damit eingeläuteten publizistischen Neubelebungsversuch maßgeblich mit.

Die Paarung von Juristerei und Sprachlust ist alt und fruchtbar; das Studium der klassischen Sprachen und Literaturen bildet – heutiger „Bildungspolitik“ zum Trotz – zweifellos das beste Fundament für ein breites Interesse an Fragen der eigenen Muttersprache als einer großen, bewahrenswerten Kultursprache. Dabei ergibt das Wissen um die kunstvolle Gesetzmäßigkeit und sinnreiche Ordnung des Deutschen den Maßstab für ein vielleicht recht unromantisches, aber hellhöriges und klarsichtiges Verhältnis zu alten und neuen Herausforderungen an Sprachpflege und Sprachkritik.

Am 12. Juni 2019 wurde Helmut Noll im Familiengrab auf dem beschaulichen Pötzleinsdorfer Friedhof im 18. Wiener Gemeindebezirk zur letzten Ruhe gebettet. Der Familie, der Witwe Irene, Sohn Bernhard und Tochter Verena sowie den Enkelkindern und weiteren Angehörigen, entbot eine große Schar von Trauergästen ihre Anteilnahme, vereint im Gedächtnis an die liebe Seele. Das Gedenkkärtchen verkündet den schönen Wahlspruch „Lebe im Licht!“ Dieses thomistische Bekenntnis atmet zum einen das Bewußtsein der Heimat, die der Betrauerte zeit seines Hierseins im Gebäude des christlichen Glaubens und in der Kirche gefunden hatte, und es spricht zum anderen aus, was Auftrag an alle sein kann und soll, meint doch das Leben im Lichte nichts Geringeres als ein Leben im Wort, aus dem Geiste der Heiligen Schrift und in jener Welt, die Jesus Christus bedeutet.

In der Erinnerung an Helmut Noll und dessen vorbildliche Liebe zur Sprache entfaltet dieses Letztgültige eine tröstliche Anwesenheit.

(Christoph Fackelmann)